Schneesturm und Mandelduft: Kriminalroman (German Edition)
ging recht schnell. Er hat etwas Schlimmes erlebt, und seitdem habe ich den Eindruck … ach, nichts. Kümmere dich nicht um ein altes Weib, das sich zu viele Gedanken macht. Was hast du auf dem Herzen, Annie? Können wir dir irgendwie behilflich sein? Hast du den kleinen Mann dabei? Es wäre so schön, ihn mal zu sehen.«
»Ja, Sam ist hier, aber er ist ein bisschen krank.«
Annie verstummte. Nichts hätte ihr mehr Freude bereitet, als Signe ihren Sohn zu zeigen. Aber erst mussten sie auf der Insel zur Ruhe kommen. Erst musste sie wissen, wie stark die jüngsten Ereignisse auf ihn gewirkt hatten.
»Genau deshalb wollte ich fragen, ob ihr mir bei einer Sache helfen könnt. Wir haben hier draußen nicht besonders viel zu essen, und ich wollte Sam noch nicht aus dem Bett reißen und mit ihm in den Ort …« Sie hatte den Satz noch nicht beendet, als Signe ihr ins Wort fiel.
»Du weißt doch, dass wir dir furchtbar gern helfen. Gunnar fährt am Nachmittag sowieso mit dem Boot raus, und ich kann gern für dich einkaufen gehen. Sag mir einfach, was ihr braucht.«
»Ich habe Bargeld hier, das ich Gunnar geben kann. Vielleicht habt ihr ja die Möglichkeit, bis dahin etwas für mich auszulegen.«
»Natürlich, Herzchen. So, was soll ich denn nun auf die Einkaufsliste schreiben?«
Vor ihrem geistigen Auge sah Annie, wie Signe ihre Lesebrille auf die Nasenspitze setzte und nach Stift und Papier griff. Dankbar ratterte Annie alles herunter, was ihr in den Sinn kam. Inklusive einer Tüte Süßigkeiten für Sam, denn sonst würde der Samstag anstrengend. Sam hatte einen bewundernswerten Überblick über die Wochentage und freute sich immer schon ab Sonntag auf die Leckereien am nächsten Samstag.
Nachdem sie das Gespräch beendet hatte, überlegte sie, ob sie reingehen und vorsichtig versuchen sollte, Sam zu wecken. Irgendetwas sagte ihr jedoch, dass sie damit besser noch ein Weilchen wartete.
In der Dienststelle ruhte die Arbeit. Bertil Mellberg hatte Patrik mit ungewohntem Feingefühl gefragt, ob er wolle, dass die Kollegen zur Beerdigung kämen. Doch Patrik hatte den Kopf geschüttelt. Er ging erst seit wenigen Tagen wieder arbeiten, und die anderen schlichen auf Zehenspitzen um ihn herum. Sogar Mellberg.
Paula und Mellberg waren als Erste am Unglücksort gewesen. Als sie die beiden bis zur Unkenntlichkeit ineinander verknäulten Autos sahen, hielten sie es für unmöglich, dass irgendjemand überlebt haben könnte. Sie warfen einen Blick in den einen Wagen und erkannten Erica sofort. Erst vor einer halben Stunde hatte der Krankenwagen Patrik von der Dienststelle abgeholt, und nun lag seine Frau hier tot oder zumindest schwer verletzt vor ihnen. Die Rettungssanitäter konnten ihnen keine genauen Auskünfte über das Ausmaß der Schäden geben, und die Feuerwehrleute brauchten quälend lange, um das Auto aufzuschneiden.
Martin und Gösta waren zu einem Einsatz ausgerückt und erfuhren erst Stunden später von dem Unfall und Patriks Zusammenbruch. Sie fuhren ins Krankenhaus nach Uddevalla und tigerten den ganzen Abend auf den Fluren auf und ab. Patrik lag auf der Intensivstation, und bei Erica und ihrer Schwester Anna, die auf dem Beifahrersitz gesessen hatte, wurden Notoperationen durchgeführt.
Nun war Patrik wieder da. Zum Glück hatte er nicht, wie zuerst befürchtet, einen Herzinfarkt gehabt, sondern litt an Angina Pectoris. Er war drei Monate krankgeschrieben, und nun hatten die Ärzte ihm zwar erlaubt, wieder zu arbeiten, ihm aber jeglichen Stress streng verboten. Wie auch immer das gehen sollte, dachte Gösta. Mit fast neugeborenen Zwillingen zu Hause, und dazu noch Annas Schicksal. Auch der Abgebrühteste hätte da gestresst reagiert.
»Hätten wir trotzdem hingehen sollen?« Martin rührte in seiner Kaffeetasse. »Vielleicht hat Patrik nein gesagt, obwohl er uns eigentlich gern dabeigehabt hätte.«
»Ich glaube, Patrik hat es so gemeint, wie er es gesagt hat.« Gösta kraulte den Dienststellenhund hinterm Ohr. »Es sind bestimmt genug Leute da. Hier können wir uns sinnvoller betätigen.«
»Wie meinst du das? Heute Vormittag hat noch keine Sau angerufen.«
»Die Ruhe vor dem Sturm. Im Juli wirst du dich noch nach einem Tag ohne Besäufnisse, Einbrüche und Krawall sehnen.«
»Stimmt«, erwiderte Martin. Er war immer der Jüngste in der Dienststelle gewesen, kam sich aber nicht mehr ganz so grün hinter den Ohren vor. Er war nun seit einigen Jahren dabei und hatte an einigen, gelinde gesagt, schweren
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