Schneesturm und Mandelduft: Kriminalroman (German Edition)
sah, wie Dan seine Hand auf Annas Schulter legte, nachdem er den Rollstuhl vorsichtig neben das Grab geschoben hatte. Anna schüttelte die Hand ab. Das war schon seit dem Unfall so. Ihr Schmerz schien derart groß zu sein, dass sie ihn nur allein ertrug. Dan dagegen brauchte jemanden, mit dem er den Schmerz hätte teilen können, doch nicht irgendjemanden. Patrik und Erica hatten versucht, mit ihm zu reden, und alle in seiner Umgebung hatten getan, was sie konnten. Aber er wollte seine Trauer nur mit Anna teilen. Und sie konnte es nicht.
Erica fand Annas Reaktion verständlich. Sie kannte ihre Schwester so gut und wusste, was sie durchgemacht hatte. Das Leben hatte Anna bereits einiges zugemutet, und das hier würde vielleicht alles zum Einsturz bringen. Doch auch wenn Erica Annas Verhalten nachvollziehen konnte, wünschte sie, alles wäre anders gewesen. Anna brauchte Dan mehr als je zuvor, und Dan brauchte Anna. Nun standen sie nebeneinander wie zwei Fremde, während der kleine Sarg in die Erde gesenkt wurde.
Erica streckte die Hand aus und legte sie Anna auf die Schulter. Ericas Hand durfte liegen bleiben.
Vor lauter Rastlosigkeit fing Annie an zu putzen und zu waschen. Das Lüften hatte gutgetan, aber der abgestandene Geruch hing noch immer in Gardinen und Bettzeug. Sie stopfte alles in einen großen Wäschekorb und ging damit zum Anleger hinunter. Kernseife und das alte Waschbrett, das sich im Haus befand, seit sie denken konnte, nahm sie auch mit. Sie krempelte die Ärmel hoch und wusch die Wäsche im Schweiße ihres Angesichts von Hand. Ab und zu warf sie einen Blick auf das Haus, um sich zu vergewissern, dass Sam nicht aufgewacht und rausgelaufen war. Aber er schlief ungewöhnlich lange. Vielleicht stand er irgendwie unter Schock, und da würde es ihm bestimmt guttun, sich ordentlich auszuschlafen. Noch eine Stunde, beschloss sie, dann würde sie ihn wecken und dafür sorgen, dass er etwas aß.
Auf einmal wurde Annie klar, dass es wahrscheinlich gar nicht viel zu essen gab. Sie hängte die Wäsche auf die Leine vor dem Haus und ging hinein, um in den Schränken nachzusehen. Eine Dose mit Campbell’s Tomatensuppe und eine mit Würstchen der Marke Bullens Pilsnerkorv war alles, was sie entdeckte. An die Verfallsdaten wagte sie gar nicht zu denken. Andererseits hielten solche Lebensmittel angeblich ewig, und zumindest heute würden Sam und sie damit schon zurechtkommen.
In den Ort zu fahren reizte sie überhaupt nicht. Hier fühlte sie sich sicher. Sie wollte keine anderen Menschen sehen, sie wollte ihre Ruhe. Mit der Suppendose in der Hand überlegte Annie eine Weile. Es gab nur eine Lösung. Sie musste Gunnar anrufen. Er hatte sich nach dem Tod ihrer Eltern um das Haus gekümmert, und sie konnte ihn bestimmt auch jetzt um Hilfe bitten. Der Festnetzanschluss funktionierte nicht mehr, aber mit dem Handy hatte sie guten Empfang. Sie tippte seine Nummer ein.
»Sverin.«
Der Name weckte so viele Erinnerungen, dass Annie zusammenzuckte. Es dauerte einen Moment, bis sie sich so weit gefasst hatte, dass sie sprechen konnte.
»Hallo? Ist da jemand?«
»Ja, hallo, hier ist Annie.«
»Annie!«, rief Signe Sverin.
Annie lächelte. Sie hatte Signe und Gunnar immer geliebt, und ihre Liebe wurde erwidert.
»Bist du es, meine Süße? Rufst du aus Stockholm an?«
»Nein, ich bin auf der Insel.« Zu ihrem Erstaunen schnürte es ihr die Kehle zu. Sie hatte nur ein paar Stunden geschlafen, und wahrscheinlich machte die Müdigkeit sie so dünnhäutig. Sie räusperte sich. »Ich bin gestern angekommen.«
»Da hättest du uns vorwarnen sollen, Herzchen, dann wären wir rausgefahren und hätten alles saubergemacht. Es muss ja furchtbar aussehen und …«
»Das Putzen war nicht so wild«, unterbrach Annie zaghaft Signes Wortschwall. Sie hatte ganz vergessen, wie viel und vor allem wie schnell Signe redete. »Ihr habt hier draußen alles wunderbar in Ordnung gehalten. Und das bisschen Aufräumen und Waschen macht mir nichts aus.«
Signe schnaubte.
»Ich finde wirklich, du hättest uns um Hilfe bitten sollen. Gunnar und ich haben doch sowieso nichts Vernünftiges mehr zu tun. Wir haben nicht einmal Enkelkinder, um die wir uns kümmern können. Aber Matte ist wieder von Göteborg hierhergezogen. Er hat in Tanum eine Stelle bei der Gemeinde.«
»Das ist ja toll für euch. Wie ist es denn zu diesem Entschluss gekommen?« Sie sah Matte vor sich. Blond, braun gebrannt und immer gut gelaunt.
»Ich weiß nicht genau. Das
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