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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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ich mich unter die Eiche
gestellt, die ihr Laub noch nicht verloren hatte. Aber es sah nicht danach aus,
dass es bald aufhören würde. Also bin ich losgelaufen. Und dann …« Er wollte nicht in die Einzelheiten
gehen. »Wenn ich mich nicht untergestellt hätte, wäre sie vielleicht noch am
Leben. Dann hätte ich dazwischengehen können.«
    »Martin! Hast du den Mörder gesehen?«
    Er nickte. »Es war Christoph.«
    Sie wurde kreidebleich. »Christoph Ortmann?«
    »Ja, aber er war nicht allein. Da war noch ein anderer Mann. Nachdem
Christoph aus dem Graben geklettert ist, haben sie sich unterhalten. Der Mann
ist in sein Auto gestiegen und losgefahren, und Christoph ist zurück auf die
Party gegangen. Diesen Mann habe ich wiedergetroffen. Er hat sich ebenfalls im
Vereinsheim versteckt. Ihn haben sie geschnappt.«
    »Dann musst du zur Polizei!«, flüsterte sie aufgeregt. »Du musst
ihnen sagen, was du gesehen hast.«
    Er spürte Ärger in sich aufsteigen. Wie dumm war sie denn, dass sie
das ernsthaft vorschlug?
    »Die Polizei«, sagte er spöttisch. »Die glauben mir doch kein Wort.
Die denken, ich bin es gewesen, und warten nur darauf, mir einen
Indizienprozess machen zu können.«
    »Du irrst dich. Du musst mit Kommissar Hambrock sprechen. Er wird
dir glauben.«
    »Ich gehe nicht zur Polizei!«
    Es klang härter als beabsichtigt. Aber das schien seine Mutter nicht
zu irritieren. Sie packte ihn an den Schultern und rüttelte ihn.
    »Martin! Verstehst du denn nicht? Dies ist die Chance für dich,
alles ins Lot zu bringen. Wenn du der Polizei jetzt behilflich bist …«
    »Nein!«
    Er stieß sie von sich. Doch sie packte ihn erneut, diesmal fester.
Sie war außer sich, er kannte sie kaum wieder. Vage kam ihm in den Sinn, dass
auch sie seit Tagen unter starkem Druck stand.
    »Ich sage, du gehst! Wenn du es nicht tust, dann mache ich es für
dich!«
    »NEIN!«
    Die Wut brach tief aus ihm hervor. Sie verlieh ihm mehr Kraft, als
er geahnt hatte. Der kleine Körper seiner Mutter flog durch den Kellerraum. In
ihren geweiteten Augen lagen weder Angst noch Zorn. Nur Überraschung. Dann
donnerte sie gegen die aufgestapelten Gartenstühle, die lautstark
zusammenkrachten und ihren Körper unter sich begruben.
    Der Lärm verhallte, es wurde still. Martin starrte schreckensbleich
auf den Haufen umgestürzter Stühle.
    »Mama …«
    Er trat näher heran. Sie lag schlaff und leblos da, ihre Augen waren
geschlossen, der linke Arm zeigte in einem unnatürlichen Winkel vom Körper weg.
    »Mama …«
    Er taumelte zurück. Der Raum schien sich zu verengen, er bekam keine
Luft. Der puppenhafte Körper wirkte seltsam fremd.
    Benommen stolperte er hinaus, rannte die Treppe hoch und stürzte in
die Küche. Er sah die Kerze auf dem Küchentisch, dachte an die Observation und
blies eilig die Flamme aus. Dann blickte er zum Fenster. Die Vorhänge waren
zugezogen.
    Seine Gedanken rasten. Er konnte seiner Mutter nicht mehr helfen. Er
musste weg von hier. Doch wohin? Gab es für ihn überhaupt noch Rettung?
    »Verdammt! Verdammt! Verdammt!« Wieder hatte sich die ganze Welt
gegen ihn verschworen. Nichts gelang. Einfach gar nichts.
    Hass legte sich wie ein dunkler Schleier über ihn. Sanft und
fließend, bis alles bedeckt war. Seine Brust verhärtete sich, sein Atem ging
stoßweise. Er krallte die Fingernägel in die Handballen, bis er das Blut sah.
    Klara war schuld. Ihr hatte er dies alles zu verdanken.
    Sein Kopf glühte. Er wusste jetzt, was er zu tun hatte. Sie würde
schon sehen, was sie davon hatte. Wenn sie dachte, sie würde sein Leben
zerstören können, ohne dass er sich dagegen wehrte, dann würde sie sich
wundern.
    Er schlich sich zu Tür. In der tiefschwarzen Nacht würden ihn die
Polizisten nicht sehen können. Keiner würde ihn aufhalten.
    Der alte Bauer humpelte voran. Der Lichtkegel seiner
Taschenlampe wippte über die aufgehäuften Schneeberge am Wegesrand. Er bewegte
sich schneller, als sein Alter und seine gebrechliche Erscheinung es vermuten
ließen. Ingeborg und Hambrock mussten sich beeilen, um mitzuhalten.
    Die alte Garage, die zum Partyraum umfunktioniert war, rückte in ihr
Blickfeld. Hambrock hörte Popmusik und heiteres Stimmgewirr. Es wurde sogar
getanzt.
    »Wir haben den jungen Leuten noch nichts gesagt«, erklärte
Lütke-Brüning. »Das würde nur für Unruhe sorgen. Kommen Sie.«
    Er huschte an den Partyfackeln vorbei zum Tennentor. Hambrock blieb
stehen. Neben der offenen Tür stand Christoph Ortmann. Lehnte an

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