Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
daran getan. Aber jetzt, da das Kind nun einmal im Brunnen lag …
Sie holte Luft. »Was ich sagen wollte, ist, dass Mama und Papa da erst mal ziemlich beschäftigt sind, und …«
»Aber ich will viel lieber einen Hund als einen blöden Bruder!«
Autsch …
»Ich lege Ihnen den Wels dann einfach schon mal an die Kasse«, versuchte es die Verkäuferin mit einer Mischung aus durchaus nachvollziehbarem Fluchttrieb und Diskretion. »Dann können Sie alles in Ruhe besprechen. Und vielleicht möchte Ihre Tochter ja auch …«
»Sie ist nicht meine Tochter«, fiel Winnie ihr freundlich, aber bestimmt ins Wort, überrascht, dass man ihr so etwas wie Mutterschaft überhaupt zutraute.
»Oh.«
»Winnie ist meine Freundin«, ergänzte Nina mit einem vorsichtigen Seitenblick auf die Kollegin ihres Vaters. Wahrscheinlich hatte sie Sorge, sich mit dieser Behauptung zu weit aus dem Fenster gelehnt zu haben.
»Ganz genau«, kam Winnie ihr zu Hilfe. »Wir sind Freundinnen.«
Ach, machen Sie doch, was Sie wollen!,
zickten die Augen der Verkäuferin. Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und verschwand Richtung Kasse.
»Dominik sagt, dass wir Jan am besten zu Leuten geben, die selbst keine Kinder kriegen können, und uns stattdessen einen Hund kaufen«, erzählte Nina, kaum dass die Frau außer Sicht war.
»Ich glaube nicht, dass deine Eltern damit einverstanden wären.«
»Das ist mir egal«, versetzte Nina, und Winnie glaubte, aus der trotzigen Stimme einen Anflug von Traurigkeit herauszuhören.
Sie betrachtete ein Terrarium an der Wand gegenüber, in dem laut Aufschrift eine Vogelspinne untergebracht war. Irgendwie drohte ihr diese Situation über den Kopf zu wachsen!
Verhoeven sprach ja grundsätzlich nicht viel über sich und sein Zuhause, doch gerade in letzter Zeit hatte Winnie oft das Gefühl, dass er unter enormem seelischen Stress stand. Bislang hatte sie seinen Zustand auf das Baby geschoben, auf schlaflose Nächte und elterliche Pflichten. Ganz abgesehen davon, dass bereits die Geburt des kleinen Jan im vergangenen Sommer von großer Gefahr überschattet gewesen war – ganz sicher etwas, das den überängstlichen Verhoeven nicht so schnell wieder losließ. Und natürlich war all das auch nicht spurlos an seiner Tochter vorbeigegangen. Die Kleine hatte hautnah miterlebt, wie ein bewaffneter Serienvergewaltiger in ihr Zuhause eingedrungen war und ihrer schwangeren Mutter eine Pistole an die Schläfe gehalten hatte. Und auch wenn ihr Vater gerade noch rechtzeitig aufgetaucht war, um dem Spuk ein Ende zu machen, prägte eine solche Erfahrung vermutlich mehr, als sich die Beteiligten eingestehen wollten. Ihr Blick suchte Ninas charaktervolles Gesichtchen, das eher traurig als verstört oder gar traumatisiert wirkte.
Vielleicht gab es ja doch noch andere Probleme …
»Erzähl doch mal von deinem Bruder«, forderte sie die Tochter ihres Vorgesetzten auf, weil sie spürte, dass sie das Thema nicht so ohne weiteres wieder fallenlassen konnte. »Wie läuft’s denn so zwischen euch?«
»Nicht gut.«
»Nicht?«
»Nein.«
»Und warum nicht?«
»Weil er total blöd ist.«
Tja, das war leider ziemlich eindeutig …
Trotzdem entschied sich Winnie für einen vorsichtigen Einwand: »Na ja, im Augenblick ist er natürlich noch ein Baby, aber wenn er erst mal …«
»Er ist ein total blödes Baby«, fiel Nina ihr ins Wort.
»Gib ihm eine Chance, ein bisschen älter zu werden, ja? Dann kannst du auch mehr mit ihm anfangen.«
»Ich will aber gar nichts mit ihm anfangen.«
»Jetzt vielleicht noch nicht, aber …«
»Können wir gehen?«
Das hier schien tatsächlich tiefer zu gehen als die üblichen Eifersüchteleien unter Geschwistern.
»Ja, na klar«, sagte sie. »Ich bezahle nur noch schnell den Fisch, und dann machen wir uns hier vom Acker, einverstanden?«
»Hm.«
Während sie stumm nebeneinanderher zur Kasse trotteten, überlegte Winnie fieberhaft, wie sie die Stimmung aufheitern konnte. Doch ihr fiel nichts ein. »Möchtest du die Tüte tragen?«, fragte sie, nachdem sie bezahlt hatte.
»Hm.«
»Okay. Hier.«
Sie reichte Nina eine buntgemusterte Plastiktüte, die neben dem wassergefüllten Fischbeutel auch jede Menge Styroporkügelchen gegen die Kälte enthielt, und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Hey, was würdest du davon halten, wenn wir jetzt zu mir nach Hause fahren und Papageno seine neue Gefährtin zeigen?«
»Ich darf zu dir nach Hause?« Die Traurigkeit in Ninas Blick wich von einer
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