Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
Kaspar Oliviers Nachttisch fand. GENAUER GESAGT SEINE WALDSZENEN . MEINE SCHWESTER WAR DREIZEHN DAMALS .
P.S.: FRÖHLICHE WEIHNACHTEN !
Sie legte Päckchen und Zettel neben Olivier auf das Kissen und gab dem massigen Mann einen flüchtigen Kuss auf die Stirn, ohne zu wissen, warum sie das tat und ob es ihm recht wäre.
»Auf Wiedersehen«, flüsterte sie ihm ins Ohr, bevor sie ging. Aber was das betraf, war sie keineswegs sicher.
Als sie aus dem Eingang auf die verwaiste Straße hinaustrat, stellte sie fest, dass es zu schneien begonnen hatte. Dicke, etwas zu feuchte Flocken, die Bürgersteig und Häuserdächer in Windeseile in adrettes Weiß gehüllt hatten.
Winnie dachte an Werneuchen und den Streit, der ihm vermutlich auch heute wieder bevorstand, und sie überlegte ernsthaft, ob sie ihn anrufen sollte.
»Du, ich will nicht stören, aber schau doch mal aus dem Fenster! Ist das nicht schön?«, so was in der Richtung. Ihm eine Freude machen. Einfach so. Ohne Hintergedanken.
Aber vielleicht mochte er gar keinen Schnee.
Sie mochte ja eigentlich auch keinen …
Während sie ihren Autoschlüssel aus der Handtasche kramte, dachte sie an Iris Heider. Und ihre eigene Machtlosigkeit in dieser Sache. Natürlich … ein Gefühl war ein Gefühl, und ein Beweis war ein Beweis. Das wusste sie sehr wohl. Trotzdem würde sie Ines Heider im Auge behalten. Sie würde höchstpersönlich darauf achten, dass das Hospiz, in dem die junge Nonne arbeitete, regelmäßig auf Herz und Nieren geprüft wurde. Es gab Patientenbefragungen. Es gab unabhängige Gutachten. Und dann gab es auch noch Frau Dr. Kerr, deren Rat sie einholen würde. Immerhin war das ihr Spezialgebiet.
Und wer weiß?, dachte sie, vielleicht gibt es ja doch noch eine Möglichkeit, Ines Heider für die Morde an Karlheinz Rogolny und Olaf Madsen zur Rechenschaft zu ziehen. Irgendeinen Beweis, der übersehen worden ist. Winnie nickte langsam und durchaus nicht unzufrieden vor sich hin. Sie würde sich die Akten vornehmen und Ines Heider zu verstehen geben, dass sie es sich nie wieder würde leisten können, einem ihrer Patienten auch nur ein einziges Haar zu krümmen.
Mehr konnte sie im Augenblick nicht tun.
Ines Heider wusste das.
Aber wenn sie klug war, würde sie kein zweites Mal auf Unterstützung von oben bauen.
Winnie stieg ein und raffte die üppige Weite ihres eierschalfarbenen Wollmantels ins Auto, den sie sich erst gestern bei einer ausgedehnten Weihnachtseinkaufstour geleistet hatte. Der Mantel hatte mehr gekostet als die drei Parkas, die sie normalerweise trug, zusammen. Und natürlich war so was der pure Wahnsinn, ein Wintermantel in Eierschal! Aber die Verkäuferin hatte gesagt, dass der große Kragen ihrem Teint schmeichele, und zum ersten Mal seit vielen Jahren hatte Winnie das tatsächlich auch so empfunden. Sie drehte die Heizung hoch und startete den Wagen. Im Grunde hatte sie sich selbst immer für schrecklich geizig gehalten, und während der letzten Jahre ihres Lebens hatte sie konsequent jede Extraausgabe in Anteilen von Monatsgehältern umgerechnet:
Ein Viertel Monatsgehalt für eine Lederjacke? Ja wohl im Traum nicht!
Oder:
Für einen einzigen Flakon dieses Parfüms müsste ich neun Komma vier völlig blödsinnige Formulare ausfüllen …
Und jetzt?
Ihre frostigen Finger schlossen sich zufrieden um das eiskalte Lenkrad (selbstverständlich Plastik, nicht Leder).
Jetzt brachte sie es auf einmal fertig, an einem einzigen Vormittag einen Wintermantel in Eierschal zu kaufen, dazu ein traumschönes Kaschmir-Twinset in gewagtem Granatrot (der farblich perfekt passende Schmuck stammte allerdings – das musste sie zu ihrer Ehrenrettung anführen – aus einem Schmuckständer im Kassenbereich ihres Stammsupermarkts) und obendrein einen riesigen Rinderbraten, für den sie umgerechnet mindestens sieben Formulare ausfüllen musste …
»Oh Mann«, stöhnte sie. »Wie weit ist es nur gekommen mit mir?«
Wissen Sie,
flüsterte Kaspar Olivier hinter ihrer Stirn, während sie ihren Polo sicher durch die feierlich geschmückten, fast unwirklich stillen Straßen lenkte,
ich habe nie groß nachgedacht. Es schien mir, im Gegenteil, immer weitaus klüger zu sein, das Hier und Jetzt zu genießen …
Sie hatte Verhoeven eine SMS geschrieben und ihm einen schönen Abend gewünscht, bevor sie zu Kaspar Olivier gefahren war. Geantwortet hatte er nicht. Aber das war okay. Aus dem Radio quollen Festklänge. Winnie ertappte sich dabei, wie sie lauthals und
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