Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
Himmel fiel. Aber selbst das, dachte Ackermann, hat ja nun bald ein Ende!
Nie wieder Winterkälte und pappiger Schneematsch auf den Straßen.
Nie wieder Gitterstäbe, die ihm die Sicht in den Himmel versperrten.
Dafür ein Blick bis zum Horizont. Und Frieden. Paradiesische Ruhe. Genau das, wonach er sich seit Kindertagen gesehnt hatte.
Er hatte seine Fühler bereits einige Monate vor der Entlassung ausgestreckt und war auf ein perfektes kleines Haus am Meer gestoßen, gerade groß genug, um sich nicht eingeengt zu fühlen. Das zumindest suggerierten die Bilder, die er sich aus dem Internet heruntergeladen hatte, Oleander und Zitronenbäumchen inklusive. Übermorgen würde er das Ganze endlich auch in natura zu sehen bekommen. Und obwohl ihm klar war, wie viel sich mit ein paar geschickt aufgenommenen Fotos vortäuschen ließ, war er überzeugt, dass das Haus halten würde, was die Bilder versprachen.
Es war
sein
Haus.
Er konnte es fühlen. Und nichts und niemand würde ihm das je wieder wegnehmen können.
Natürlich musste er den Preis noch ein wenig herunterhandeln. Bei einem Objekt wie diesem bezahlte niemand die verlangte Summe. Selbst dann nicht, wenn man das nötige Kleingeld sozusagen in der Portokasse liegen hatte. So wie er in ein paar Stunden. Die Gewissheit entlockte ihm ein Lächeln. Nur noch ein paar Stunden. Dann konnte die Zukunft beginnen. Der Makler hatte alles in allem einen sehr vernünftigen Eindruck gemacht. Ein Deutscher, natürlich. Aber einer, der seit Jahren auf der Insel lebte und Immobilien an sonnenhungrige, zahlungskräftige Nordeuropäer vermittelte.
»Auch wenn uns Griechenland inzwischen ja fast gehört, ist ein Schmuckstück wie dieses natürlich nicht ganz billig«, hatte er gescherzt, als sie vorgestern zum ersten Mal telefoniert hatten.
»Alles im Leben hat seinen Preis«, hatte Ackermann geantwortet, und sie hatten beide laut und herzlich gelacht – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
Dann hatten sie noch ein paar Worte über Diskretion verloren.
Sie möchten nicht, dass Ihr Name irgendwo auftaucht? Selbstverständlich. Kein Problem…
Seltsamerweise hatte Ackermann ihm auch das sofort abgenommen. Trotz des tiefen Misstrauens gegen alles und jeden, das seit seiner Jugend in ihm schlummerte und das der Knast noch verstärkt hatte. Eine Stunde später hatte er seinen Flug gebucht. Einfach. Er hatte nicht vor, je wieder nach Deutschland zurückzukehren. Was ihn mit seiner sogenannten Heimat verband, war nichts als ein Haufen schlechter Erinnerungen, die er so schnell wie möglich aus seinem Gedächtnis löschen wollte.
»Nichts für ungut, Mäuschen«, flüsterte er, als für einen flüchtigen Augenblick das Gesicht seiner Verlobten vor ihm aufblitzte. Zumindest bezeichnete sich Miriam Bandow überall als seine Verlobte, und zu ihrer Ehrenrettung musste Ackermann anführen, dass er dem nie widersprochen hatte. Wozu auch? Die butterweiche Miriam war ihm in der Vergangenheit mehr als nützlich gewesen. Und nach dem ersten Schmerz würde sie sehr schnell über die Sache hinwegkommen, dessen war er vollkommen sicher. Er hätte für sie ohnehin bald an Reiz verloren, wenn sie erst einmal herausgefunden hätte, dass er nicht der war, für den sie ihn hielt.
Wahrscheinlich wird es ihr schon reichen, wenn sie mein Zimmer zu Gesicht kriegt, dachte er mit einer Mischung aus Schadenfreude und Triumph.
Seit genau einer Woche war er nun auf freiem Fuß. Und seit genau einer Woche bewohnte er ein zweiundzwanzig Quadratmeter kleines Apartment in einem schmuddeligen Zwölfparteienhaus, möbliert mit Sachen, die andere Leute auf den Sperrmüll stellen würden. Und das, obwohl Miriam mehrfach hoffnungsvoll angeboten hatte, dass er bei ihr wohnen könne. Doch zu ihr zu ziehen, so praktisch es auch gewesen wäre, war aus verschiedenen Gründen nicht in Frage gekommen.
»Es ist ja nur für ein paar Wochen«, hatte er gesagt, als sie darauf gedrängt hatte. »Ich möchte, dass wir Zeit haben, um uns in aller Ruhe etwas Gemeinsames zu suchen. Etwas, wo wir dann bleiben können, okay?«
»Aber es wäre doch viel billiger«, hatte sie dagegengehalten, und die Sehnsucht in ihren nichtssagenden graubraunen Augen hatte in ihm nichts als Übelkeit ausgelöst. »Das Geld brauchen wir für unsere Zukunft.«
Ackermann blieb abermals stehen und kniff suchend die Augen zusammen. Geld, dachte er, ist vermutlich das Einzige, was in meiner Zukunft keine Rolle spielen wird. Und das hatte er Miriam
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