Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
Gebiet über eine gewisse, von ihren Eltern vermutlich nicht allzu hochgeschätzte Erfahrung verfügte).
»Sie müssen vorsichtig sein«, riss Ninas sonore Mädchenstimme sie aus ihren Gedanken, und ihr fiel auf, dass Verhoevens Tochter die Frage nach den Kriterien für ihre Auswahl noch immer nicht beantwortet hatte. »Sonst versteckt sie sich, und wir kriegen sie nie.«
»Keine Sorge«, entgegnete die Verkäuferin, deren rechter Arm bis über den Ellenbogen im Wasser steckte. »Ich erwisch ihn schon.«
»Sie«, korrigierte Nina.
Der Kunde ist König, und das ist keine Frage des Alters,
las Winnie in den Augen der Frau, bevor diese sich wieder darauf konzentrierte, den Fisch einzufangen.
»Siehst du, hier haben wir ihn schon«, verkündete sie, als der Fisch Sekunden später in ihrem Fangnetz zappelte. »War doch überhaupt kein Problem, was?« Sie sah Winnie an und setzte – offenbar in dem Bemühen, ihr eine Freude zu machen – hinzu: »Der ist der trägste von allen. Noch zu faul, sich zu verstecken.«
Winnie bemerkte, wie Nina Luft holte, um die Verkäuferin ein weiteres Mal zu verbessern, und ergriff eilig die Initiative: »Aber nun sag mal ehrlich, warum wolltest du ausgerechnet diesen Wels haben?«
»Na, weil du doch gesagt hast, dass Papageno oft schlechte Laune hat«, antwortete Nina in einem Ton, der nahelegte, dass ihre Gesprächspartnerin gut und gern selbst auf diese Antwort hätte kommen können.
»Ich schätze, das musst du mir erklären.«
Nina Verhoeven verdrehte die Augen und zeigte auf das Aquarium, das die Verkäuferin gerade wieder verschloss. »Guck.«
»Ja, und?«
»Da sind acht oder neun Welse drin, oder?«
»Ja.«
»Aber sie war die Einzige, die ruhig auf ihrem Stein sitzen geblieben ist, als ich an die Scheibe geklopft habe.«
Noch zu faul, sich zu verstecken …
»Stimmt. Und weiter?«
»Die anderen sind total nervös.«
Na ja, nervös …
»Sie sind ein bisschen aktiver als der, den du ausgesucht hast, ja«, räumte Winnie ein. »Als sie, meine ich.«
»Aber die anderen verstecken sich andauernd.«
»Das tun Welse nun mal.«
»Das kann ja sein.« Nina Verhoeven zog ihre zarte Stirn in ein paar bemerkenswert tiefe Falten. »Aber wenn der eine schlechte Laune hat, und der andere versteckt sich dauernd, dann bleibt das doch immer so, stimmt’s?«
Winnie Heller horchte auf. War es vielleicht möglich, dass da jemand vom Privatleben seiner Eltern auf das von Fischen schloss?
»Du denkst also, dass Papageno eine Partnerin braucht, die ihn aus der Reserve lockt, ja?«
Verständnislose braune Augen.
Okay, Reserve bedeutet …
»… was ich meine, ist, dass es gut für ihn wäre, wenn seine neue Frau nicht genau so ein Stinkstiefel wäre wie er selbst.«
Nicken. Kichern. »Stinkstiefel!«
Die Miene der Verkäuferin spiegelte neben blanker Fassungslosigkeit auch einen Anflug von Erschöpfung. Wahrscheinlich hatte sie es satt, Tag für Tag irgendwelche durchgeknallten Kunden zu bedienen, die ihre Haustiere – selbst wenn es nur Fische waren – in einem Ausmaß vermenschlichten, dass es einem die Schuhe auszog. »Möchten Sie sonst noch etwas?«
»Ja«, rief Nina begeistert. »Einen Hund.«
»Wir dürfen in einem Geschäft wie diesem aufgrund tierrechtlicher Bestimmungen leider keine …«, setzte die Verkäuferin an, doch Winnie Heller fiel ihr umgehend ins Wort.
»Das mit dem Hund ist sowieso nicht relevant«, erklärte sie eilig.
Verstehe,
zwinkerte die Verkäuferin mit Verschwörermiene.
Mit einem Fisch brauchen Sie wenigstens nicht dreimal täglich an die Luft, was?! Und so träge, wie der ist, verliert das liebe Kind sowieso bald die Lust an ihm, und dann haben Sie das leidige Haustierthema erst mal vom Tisch …
»Was heißt das, relevant?«, wollte unterdessen Nina wissen.
»Von Bedeutung«, antwortete die Verkäuferin, bevor Winnie eine Chance hatte, sich eine etwas weniger heikle Umschreibung einfallen zu lassen.
»Aber Hunde
sind
von Bedeutung«, rief Verhoevens Tochter empört. »Und ich …«
»Du hast gerade erst einen kleinen Bruder bekommen«, hörte Winnie sich einwenden, bevor ihr klar wurde, dass das Argument bei einem Kind, das sich sehnlichst ein Haustier wünschte, vermutlich nicht besonders gut ankam.
»Na und?«
Bingo, Volltreffer!
Winnie biss sich schuldbewusst auf die Lippen. Bislang hatten sie das Thema ja geflissentlich ausgespart, und wenn sie die Tochter ihres Vorgesetzten so ansah, hatten sie vermutlich auch absolut recht
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