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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gladow
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vergrub ihren Kopf in Smillas weichem Fell und kraulte sie ausgiebig. Dann öffnete sie die Eingangstür, um die Hündin noch einmal hinauszulassen, bevor es ganz dunkel wurde, denn es dämmerte bereits. Gestern hatte Smilla sich nur widerwillig auf die Wiese hinter dem Garten begeben, dort ihr Geschäft verrichtet und war dann postwendend in ihren Korb zurückgekehrt. Jetzt lief sie in Richtung der Ställe davon, wo Hansen bald mit der Fütterung der Pferde beginnen würde. Carla faszinierte es immer wieder, wie verlässlich die innere Uhr des Hundes funktionierte. Smilla wusste genau, wann es im Stall etwas zu fressen gab, was hieß, dass Hansen regelmäßig auch eine Leckerei für sie bereithielt.
    Carla legte ihren Wintermantel und die Stiefel ab und trug ihre Einkäufe in die Küche. Hier hatte sie genau wie aus dem Rest des Hauses alle Gegenstände entfernt, die an das nahende Weihnachtsfest zu erinnern drohten. Es schien ihr das Beste, das Fest in diesem Jahr, so gut es eben ging, zu verdrängen. Carla schaltete das Oberlicht in der Küche an,dessen leises Surren die Stille für Carla noch unerträglicher machte. Aber auch das Radio einzuschalten brachte ihr nichts, denn egal ob das, was gesendet wurde, fröhlich, weihnachtlich oder romantisch klang, alles machte sie nur noch trauriger. Als Hanna noch gesund gewesen war, hatte sie um diese Zeit meist mit ihr am Küchentisch gesessen und den Tag Revue passieren lassen. Auch später hatten sie dieses Ritual beibehalten, und Carla hatte die Stunden mit ihrer Schwester genossen, in denen diese ihre Angst auch dank der Medikamente, die sie nahm, hatte kontrollieren können. Manchmal hatten sie auch nur Zeitung lesend beisammengesessen, und selbst wenn Hanna nicht im Zimmer, sondern oben gewesen war, hatte ihre Anwesenheit im Haus die Stille mit Leben gefüllt.
    Carla begann, die schweren Taschen auszupacken, die sie auf der Holzbank neben dem Kachelofen abgestellt hatte, und verstaute alles in den Schränken und im Kühlschrank. Ohne Hanna erschienen ihr das Haus und sogar das ganze Gut trostlos und fremd. Natürlich war Konrad an ihrer Seite, er vermochte aber die Lücke, die ihre Schwester hinterlassen hatte, nicht zu füllen. Mit Hannas Tod war ihr schlagartig bewusst geworden, dass ihre Ehe mit Konrad gerade deshalb so gut funktioniert hatte, weil sie ihr genug Raum für die Beziehung der Schwestern gelassen und er nie mit Hanna konkurriert hatte. Erst jetzt dachte sie darüber nach, wie wenig Zeit sie in den letzten Jahren mit ihrem Mann verbracht hatte und wie stark er beruflich eingebunden war. Auch wenn das früher zum Gelingen ihres Zusammenlebens zu dritt beigetragen haben mochte, merkte sie jetzt umso mehr, wie einsam sie ohne Hanna im Alltag tatsächlich war.
    Sie brühte sich einen Tee auf, setzte sich an den Küchentisch und überflog die Schlagzeilen in der Tageszeitung. Es galt sich heute wie jeden Tag möglichst abzulenken. Es gab außerdem unzählige Dinge zu organisieren, die die Beerdigung betrafen. Carla fixierte das Innere ihrer Tasse, als versuche sie, irgendetwas darin ergründen zu können. Der heiße Tee tat ihr gut, vermochte aber die innere Kälte, die sie empfand, nicht zu vertreiben. Vielleicht hatte Konrad recht, und es ergab einen Sinn, sobald die Beerdigung hinter ihr lag, das ohnehin viel zu große Gut zu verkaufen und einen Neubeginn in einer Umgebung zu versuchen, die nicht voller Erinnerungen steckte. Denn hier im Haus, wo die Schwestern ihr ganzes Leben miteinander verbracht hatten, würde sie auch in Zukunft immer an Hanna denken müssen. In jedem noch so kleinen Winkel steckte ein Stück ihrer Kindheit. Carla rührte gedankenverloren in ihrem Tee und blickte plötzlich auf, weil sie meinte, Hanna stünde neben ihr. Carla starrte ins Leere und war froh, als der Kloß in ihrem Hals sich zu lösen begann. Den ganzen Tag hatte sie versucht, einfach nur zu funktionieren. Jetzt ließ sie den Schmerz, der ihren ganzen Körper durchströmte, gewähren. Sie weinte hemmungslos, während sie an ihre Kindheit dachte, in der der Grundstein für Hannas Krankheit gelegt worden war. Diesmal würde sie ohne Hanna auf der Bank in der Kapelle des Burgfriedhofs sitzen und den Schmerz jener Tage noch einmal erleben, in denen sie so viel verloren hatten.
    Carla hielt die Hand ihrer Zwillingsschwester fest umklammert, während sie dicht an sie gepresst auf der kunstvoll geschnitzten Holzbank der kleinen Kapelle des Burgtorfriedhofssaß und an ihrer

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