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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gladow
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der Dunkelheit und Kälte noch draußen herumstreunte. Carla lief zurück in die Küche und schaute durch das Fenster hinüber auf den schwach beleuchteten Hof vor den Ställen, der in der Ferne still und verlassen dalag. Den Parkplatz, auf dem Hansen seinen alten Volvo Kombi regelmäßig abstellte, konnte Carla vom Haus aus nicht einsehen. Es war ungewiss, ob er noch im Stall war. Zwar schien es Carla durchaus denkbar, dass der Stallmeister noch in der Sattelkammer saß und Zaumzeug reinigte oder aufräumte, sie zog aber auch eine andere Möglichkeit in Betracht. Es wäre nicht das erste Mal, dass Smilla sich in einer offenen Box ein ruhiges Plätzchen gesucht hatte und dort eingeschlafen war. Es war also denkbar, dass der Stallmeister die Tür verriegelt hatte und gegangen war, ohne an Smilla zu denken, und er sie eingesperrt hatte. Um sich Gewissheit zu verschaffen, griffsie nach dem Telefon, das sie auf dem Küchentisch abgelegt hatte, und wählte seine Nummer. Nach längerem Läuten sprang nur die Mailbox an, und auch zwei weitere Anwählversuche blieben unbeantwortet. Carla vermutete deshalb, dass er schon losgefahren war und aus diesem Grund nicht abnahm. Denn sein Gehör war nicht mehr das allerbeste, und wenn er bei laufendem Motor das Radio eingeschaltet hatte, verpasste er Anrufe häufig. Oder er nimmt einfach deshalb nicht ab, weil die Straßen rutschig und schwer befahrbar sind und er sich auf den Verkehr konzentrieren muss, mutmaßte Carla.
    Sie lief noch einmal zur Haustür und rief nach dem Hund, aber auch diesmal blieb es still. Wohl oder übel musste sie den Weg zum Stall antreten. Denn sie war sich mehr und mehr sicher, dass Smilla im Stall eingesperrt war. Auf Konrad konnte sie nicht warten. Er war noch einmal in die Praxis gefahren, um das Allernötigste zu erledigen. Es war also an ihr, den Hund zu befreien. Carla nahm die große Taschenlampe aus dem Schrank und zog ihren mit Lammfell gefütterten Parka über, bevor sie in ihre Stiefel schlüpfte und auf die Treppe des hellerleuchteten Portals hinaustrat. Sie zog die Kapuze eng unter dem Kinn zusammen und ging schnellen Schrittes über den planierten Weg zu den Stallungen hinüber. Schon nach wenigen Metern musste sie die Taschenlampe einschalten. Einer ihrer Mitarbeiter hatte den breiten Sandweg, der rechts und links zwischen den Koppeln entlangführte und jetzt mit einer festen Decke aus Schnee bedeckt war, am Morgen mit dem Schneepflug geräumt. Die frischen Abdrücke von Smillas Pfoten, die sich teils auf dem Weg und teils rechts und links im tieferen Schnee der Wiesen fanden und zum Stall führten,bewiesen Carla, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag.
    Der Strahl der Taschenlampe zuckte im Rhythmus ihrer Schritte durch die Dunkelheit. Carla war froh, als sie die Tür zum Stall endlich erreichte. Sie zog den Schlüssel aus ihrer Jackentasche und stutzte, als sie ihn im Schloss herumdrehen wollte und die Tür unabgeschlossen vorfand. Sie zog die Stalltür auf und lugte hinein.
    »Johannes, Smilla?«
    Im Stall brannte wie abends üblich nur wenig Licht. Die über den Mittelgang in regelmäßigen Abständen verteilten Neonröhren waren ausgeschaltet worden. Nur die beiden kleinen Rundleuchten, die sich an den beiden kurzen Enden des Ganges zwischen den Boxen befanden, spendeten ein honigfarbenes Dämmerlicht. Carla trat in den Stall und knipste ihre Taschenlampe aus, nachdem sie die Tür hinter sich zugezogen hatte.
    »Smilla, Johannes?«, rief sie erneut und wartete vergeblich auf eine Reaktion. Mit Ausnahme der gewohnten Stallgeräusche war nichts zu hören.
    »Smilla?« Carla ging zögerlich in die Mitte des Ganges  zwischen den Boxen und lauschte. Wieder vernahm sie nichts als das vertraute Schnauben der Pferde und das Kratzen ihrer Hufe über den Stallboden. Doch irgendetwas stimmte nicht. Carla beschlich ein ungutes Gefühl. Wenn Smilla sonst hier eingesperrt gewesen war, hatte es immer nur Sekunden gedauert, bis sie sie angesprungen und begrüßt hatte. Außerdem konnte sie sich nicht vorstellen, weshalb Hansen die Stalltür offengelassen haben konnte.
    Hannas brauner Wallach und zwei weitere Pferde reagierten auf die ihnen vertraute Stimme ihrer Besitzerin, alssie erneut nach dem Stallmeister rief. Sie traten an die Türen ihrer Boxen und blickten sie mit aufgestellten Ohren an. Eigentlich liebte Carla den Stall gerade am Abend besonders, wenn es nach Hafer und frisch aufgeschüttetem Heu duftete und sich die Betriebsamkeit des

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