Schneetreiben
»Ich habe sie in die Klinik gebracht, nach einer ganz bestimmten Nacht, in der …« Wieder brach ihre Stimme.
»Es gab also gar keinen Anlass, der Sie je glauben ließ, dieser Mann namens Keller sei eine reale Gefahr?«, fragte Braun.
»Nein, aber natürlich hat es, nachdem die ganze Sache aufgeflogen war, heftige verbale Auseinandersetzungen gegeben. Vor allem auch, weil die Staatsanwaltschaft gegenihn ermittelte und er in der Branche, jedenfalls in Norddeutschland, kein Bein mehr an die Erde bekam.«
»Gab es mit Ausnahme dieser beruflichen Verbindung zu Herrn Keller vielleicht auch eine private Beziehung zwischen Ihrer Schwester und ihm, die mit ursächlich für ihre Erkrankung gewesen sein könnte?«, wollte Braun wissen.
»Sie meinen, ob meine Schwester und er eine Liebesbeziehung miteinander hatten?«, hakte Carla Frombach nach.
»In diese Richtung ging meine Frage«, bestätigte Braun.
»Meine Schwester und Herr Keller haben sich zu Beginn seiner Tätigkeit hier auf dem Hof sehr gut verstanden. Er kam auch vereinzelt zu uns ins Haus, um Dinge zu besprechen, und hat mit uns Kaffee getrunken«, erzählte Carla Frombach weiter. »Ich habe damals das Gefühl gehabt, dass sich zwischen beiden vielleicht zarte Bande entwickeln könnten, zumal er zu den wenigen Menschen gehörte, mit denen meine Schwester über den Tod unserer Mutter gesprochen hat. Als sich allerdings herauskristallisierte, dass er uns hinterging, hat sie sich sofort zurückgezogen.«
»Sie sprechen von zarten Banden«, meinte Braun. »Halten Sie es für möglich, dass sich zwischen beiden vielleicht mehr abgespielt hat, als Ihre Schwester Ihnen gegenüber offenbart hat?«
Carla Frombach schüttelte energisch den Kopf. »Davon hätte ich gewusst. Dafür kannte ich sie zu gut. Ich wusste immer genau, was sie fühlt und was sie tut.«
Fast im selben Moment, als Carla Frombach diesen Satz aussprach, blickte sie betreten auf ihre Hände. Es schien fast so, als erachte sie ihre eigene Äußerung aufgrund des Geschehens vom Vortag als widerlegt. Es dauerte einen Moment, bevor sie wieder aufblickte. »Richtig ist jedenfalls,dass Keller bei meiner Schwester Gefühle hervorgerufen hat, die zum Ausbruch der Psychose beigetragen haben können.«
»Fühlte sich Ihre Schwester in letzter Zeit auch noch durch ihn verfolgt?«, schaltete sich Bendt ein.
»Latent war der Gedanke an ihn immer in ihrem Kopf, aber sie war eigentlich medikamentös so gut eingestellt, dass sie keine akuten Wahnzustände mehr erlebt hat. Sie hat allerdings vor kurzem von Freunden erfahren, dass er voraussichtlich private Insolvenz anmelden muss, das hat sie wieder etwas aus der Bahn geworfen, und ich habe mir deshalb Sorgen gemacht.«
»Wer hat davon gewusst, dass Ihre Schwester sich gestern in der Wohnung mit einem Mietinteressenten treffen wollte?«
»Nur mein Mann und ich«, antwortete Carla Frombach.
»Und Herr Köhler, der Mietinteressent«, ergänzte Bendt.
»Nein, der nicht«, widersprach sie. »Ich war eigentlich dort verabredet und nicht meine Schwester.«
Braun und Bendt sahen erstaunt zu Carla Frombach hinüber.
Sie fuhr fort: »Meine Schwester hatte eigentlich gar nicht dorthin fahren wollen. Ich war diejenige, die dort verabredet war.«
Braun atmete einmal tief durch. Jetzt standen sie nicht nur vor der Frage, ob Hanna Frombach wirklich Selbstmord begangen hatte, sondern für den Fall, dass dies nicht so war, ob es nicht Carla Frombach war, die eigentlich auf der Bahre in der Rechtsmedizin hätte liegen sollen. Erneut kam ihm ein Gedanke in den Sinn, der ihm schon am Morgen in der Rechtsmedizin Kopfzerbrechen bereitet hatte. Fischer hattehüftseitig am Opfer ein Hämatom festgestellt, das er dem Sturz aus dem Fenster nicht zuordnen konnte und das möglicherweise ein Indiz dafür war, dass Hanna Frombach bereits vor dem Sturz unfreiwillig gegen das Geländer oder einen anderen Gegenstand geprallt war.
»Warum haben Sie Ihre gestrigen Pläne geändert und sind doch nicht selbst zu der Verabredung in die Wohnung gefahren?«, fragte Braun.
»Ich muss mir gestern den Magen verdorben oder irgendeinen Virus eingefangen haben. Jedenfalls wurde mir kurze Zeit nach dem Mittagessen schlecht, und ich musste mich zweimal übergeben. Das war der Grund, weshalb meine Schwester sich kurzfristig anbot, den Termin für mich zu übernehmen.«
Braun musste seine Gedanken ordnen, bevor er die Befragung fortsetzte. Wenn es wirklich Carla Frombach war, die zum Mordopfer
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