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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gladow
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dass Bendt ihm die Befragung überließ, aber trotzdem aufmerksamdarauf achtete, dass er keine zu klärenden Punkte ausließ und vor allem keine Belehrung vergaß. »Sofern Sie sich  durch Angaben zur Herkunft der Waffe oder andere Umstände selbst in die Gefahr bringen könnten, sich oder einen Angehörigen einer strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen, können Sie die Beantwortung dieser Frage ablehnen. Wollen Sie sich also zur Herkunft der Pistole äußern?«
    »Ich gehe davon aus, dass es sich um eine Waffe handelt, die meine Schwägerin sich vor einigen Jahren beschafft hat«, antwortete Teubert. »Wenn es die Pistole ist, die ich vermute, dann hat meine Frau sie ihrer Schwester in der Zeit abgenommen, als sie akut psychotisch war. Ich wusste gar nicht, dass die Waffe noch im Haus ist, geschweige denn im Nachtschrank meiner Frau. Ich bin davon ausgegangen, dass meine Frau sie damals bei der Polizei abgegeben hat.« Der Arzt schüttelte den Kopf, und auf Braun machte es den Eindruck, dass er tatsächlich keinen Schimmer davon gehabt hatte, dass eine Pistole im Haus gewesen war.
    »Haben Sie eine Ahnung, woher Ihre Schwägerin die Pistole damals hatte?«, wollte Braun wissen.
    Teubert zuckte mit den Schultern. »Glauben Sie mir«, sagte er dann, »das hätte ich damals auch nur allzu gern in Erfahrung gebracht. Ich war stocksauer, dass jemand Hanna eine Pistole in die Hand gegeben hatte. Sie war sowohl eine Gefahr für sich selbst als auch für andere. Wir haben es damals nicht aus ihr herausbekommen können, wo sie das Ding herhatte«, erinnerte er sich. »Hanna hat es um keinen Preis verraten wollen.«
    »Verstehe«, sagte Braun, der mit dieser Antwort gerechnet hatte: »Das entspricht dem, was Ihre Frau uns auch gesagthat. Können Sie uns sonst noch etwas zu der fraglichen Nacht sagen?«
    »Nein, nichts.« Teubert griff nach einer Tasse aus Hartplastik und trank Wasser daraus. »Ich möchte mich jetzt ausruhen und Sie bitten zu gehen.«
    »Eine kurze Frage hätte ich noch«, fiel Bendt ein. »Haben Sie, als Sie nach Hause kamen, einen Pappkarton gesehen, der in der Diele gestanden haben soll, oder diesen sogar entsorgt?«
    »Einen Pappkarton?« Der Mediziner zeigte sich irritiert.
    »Ihre Frau will einen Karton mit einer toten Krähe, die sich auf dem Balkon ihrer Schwester befunden haben soll, im Flur abgestellt haben.«
    Der Gesichtsausdruck des Mediziners wirkte alarmiert. »Eine Krähe – habe ich das richtig verstanden?«
    »Ja«, bestätigte Bendt. »Wir haben in Ihrem Haus aber nichts dergleichen gefunden.«
    »Nein, von einer Krähe weiß ich nichts«, gestand Teubert.
    Als Braun und Bendt die Station verließen, ahnten sie nicht, dass Teuberts Geliebte genau in diesem Moment die Klinik betrat.

23
    Der Himmel war in ein trostloses Dunkelgrau getaucht. Die ganze Nacht hatte es geschneit, und auch jetzt noch fielen dicke weiße Schneeflocken vom Himmel und bedeckten die Grabsteine und zahlreichen Familiengrüfte, für die der Burgtorfriedhof so berühmt war, mit einer dicken Schneeschicht. Außer Anna war noch kaum jemand unterwegs an diesem Morgen. Nachdem Georg Emily abgeholt hatte, war sie sofort aufgebrochen. Anna atmete die Winterluft ein und zog sich ihre Wollmütze in die Stirn. Der Schnee knirschte bei jedem Schritt leise unter ihren Lammfellboots, und die dunstigen Schleier ihres heißen Atems verloren sich in der kalten Winterluft. Auf ihrem Weg zu Maries Ruhestätte passierte Anna ein frisches Grab. Unter dem Schnee lugten einige angefrorene, bunte Blüten der dort abgelegten Blumenkränze und Gestecke hervor, ansonsten war mit Ausnahme der Grabsteine rundherum alles weiß. Anna trat an Maries Grab heran und wischte mit ihrem Handschuh den zentimeterhohen Schnee von dem grauen porösen Naturstein ab. Dann fuhr sie mit der Hand über die in schlichten Lettern eingravierten Buchstaben: Nur Marie und das Datum ihres Geburts- und Todestages mit einem kleinen Kreuz fanden sich darauf.
    Anna trat einen Schritt zurück und kramte ihr Taschentuch aus der Manteltasche. Jetzt ließ sie den Schmerz gewähren und den Tränen, die sie den ganzen Morgen zurückgehalten hatte, freien Lauf. Ihr war, als hätte sie erst gesterndas nur zwei Pfund schwere bläuliche Bündel Mensch, das so unfassbar niedlich und zerbrechlich gewesen war, im Arm gehalten. Anna schloss die Augen und meinte fast, die Kleine riechen und spüren zu können, Maries zartes Gesicht, ihren zauberhaften Mund und ihren winzigen Körper,

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