Schneewittchen muss sterben
wird er dir schon nichts tun.«
Trotz allem musste Tobias lächeln. Mutig war sie noch obendrein. Eine winzige Hoffnung flackerte in seinem Innern, wie eine Kerze, deren Licht einen Weg durch Nebel und Dunkelheit suchte. Vielleicht gab es ja doch noch eine Zukunft für ihn, wenn das hier alles vorbei war.
Cosima hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Noch immer stand sie hinter dem Sessel und sah nun zu, wie Bodenstein die Koffer öffnete und den Inhalt seines Kleiderschrankes hineinpackte.
»Das hier ist dein Haus«, sagte sie nach einer Weile. »Du musst nicht ausziehen.«
»Das werde ich aber.« Er sah sie nicht an. »Das war
unser
Haus. Ich will hier nicht mehr wohnen. Ich kann die Wohnung im alten Kutscherhaus auf dem Gut bekommen, sie steht seit einer Weile leer. Das ist die beste Lösung. Wenn du dann weg bist, können meine Eltern oder Quentin und Marie-Louise auf Sophia aufpassen.«
»Das ging ja schnell«, sagte Cosima spitz. »Du hast also schon einen Schlussstrich gezogen.«
Bodenstein seufzte.
»Nein, nicht ich«, entgegnete er. »Das warst du. Ich akzeptiere lediglich deine Entscheidung, wie ich es schon immer getan habe, und versuche, mich mit der neuen Situation zu arrangieren. Du hast dich für einen anderen Mann entschieden, dagegen kann ich nichts tun. Ich habe aber vor, ungeachtet dessen weiterzuleben.«
Für eine Sekunde überlegte er, ob er Cosima von der Liebesnacht mit Nicola erzählen sollte. Er erinnerte sich an einige spitze Bemerkungen, die Cosima über Nicola gemacht hatte, seitdem sie wusste, dass er mit seiner Ex zusammenarbeitete. Aber das wäre niveaulos und billig.
»Alexander und ich arbeiten zusammen«, sagte Cosima gerade. »Ich habe mich nicht für ihn … entschieden.«
Bodenstein fuhr fort, seine Hemden in den Koffer zu schichten.
»Aber vielleicht passt er besser zu dir, als ich es je getan habe.« Er blickte auf. »Warum, Cosima? Haben dir die Abenteuer in deinem Leben so sehr gefehlt?«
»Nein, das nicht.« Cosima zuckte die Schultern. »Es gibt keine vernünftige Erklärung. Und auch keine Entschuldigung. Alex ist mir einfach zum falschen Zeitpunkt über den Weg gelaufen. Ich hatte mich über dich geärgert, auf Mallorca.«
»Und da bist du gleich mit ihm ins Bett gesprungen. Weil du dich über mich geärgert hattest.« Bodenstein schüttelte den Kopf und schloss einen der Koffer. Er richtete sich auf. »Na super.«
»Oliver, bitte schmeiß nicht alles weg.« Cosimas Stimme klang bittend. »Ich habe einen Fehler gemacht, das weiß ich. Es tut mir aufrichtig leid. Aber es gibt so viel, das uns verbindet.«
»Und noch mehr, das uns trennt«, erwiderte er. »Ich werde dir nie mehr vertrauen können, Cosima. Und ohne Vertrauen kann und will ich nicht leben.«
Bodenstein ließ sie stehen und ging ins Badezimmer hinüber. Er schloss die Tür hinter sich, zog sich aus und trat unter die Dusche. Unter dem heißen Wasser lockerten sich seine verkrampften Muskeln, die Anspannung ließ ein wenig nach. Seine Gedanken wanderten zur vergangenen Nacht und zu den vielen Nächten, die in seinem Leben noch kommen würden. Nie wieder würde er wach liegen und sich mit der Sorge quälen müssen, was Cosima auf der anderen Hälfte der Erdhalbkugel gerade tat, ob es ihr gutging oder nicht, ob sie in Gefahr war, einen Unfall hatte oder gar mit einem anderen Kerl im Bett lag. Es überraschte ihn, dass er bei dieser Vorstellung keinerlei Wehmut empfand, nur tiefe Erleichterung. Er musste nicht länger nach Cosimas Spielregeln leben. Und er würde, das nahm er sich in genau diesem Moment fest vor, überhaupt nie wieder nach anderen Spielregeln leben als nach seinen eigenen.
Er hoffte, dass sie nicht zu spät kamen, aber sie hatten kaum eine Viertelstunde im Auto gewartet, als der schwarze Mercedes auftauchte und kurz vor dem spitzenbewehrten Tor der Terlinden-Werke anhielt. Wie von Geisterhand glitt das Tor zur Seite. Die Bremslichter des Mercedes erloschen, er fuhr an und verschwand.
»Schnell jetzt!«, zischte Tobias. Sie sprangen aus dem Auto, rannten los und schafften es gerade noch durch das Tor, bevor es sich wieder schloss. Das Häuschen des Portiers war leer. Nachts bewachten nur die Kameras das Gelände, einen Werkschutz wie früher gab es längst nicht mehr, das hatte Tobias von seinem Kumpel Michael erfahren, der bei Terlinden arbeitete. Gearbeitet hatte, verbesserte er sich in Gedanken. Jetzt saß Michael im Knast, genau wie Jörg und Felix und Nadja.
Leichter
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