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Schneewittchens Tod

Schneewittchens Tod

Titel: Schneewittchens Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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Es war Pageot, der Beamte von der Bestattungspolizei, ein blonder Lulatsch. Kraft Artikel R 363. l ff./soundso der Kommunalverfassung war er angewiesen, bei jedem Eingriff zugegen zu sein. Chib stellte fest, dass er noch erschöpfter wirkte als gewöhnlich. Pageot verbrachte all seine freien Stunden und Nächte damit, ein Segelboot zu bauen, sein Segelboot, mit dem er auf Weltreise gehen wollte, weit weg von Toten und Formalingeruch. Chib reichte ihm ein Muster von der Mischung, die er verwenden würde, und einen Umschlag mit dem vereinbarten Betrag. Pageot grauste es davor, Chibs Arbeit beizuwohnen. Er hob zwei Finger an seine blonden Haare, dankte ihm und nutzte seine drei Stunden der verheimlichten Freiheit, um an seinem geliebten Boot zu arbeiten.
    Endlich allein. Chib streifte seine Handschuhe über und bewegte seine Finger wie ein Pianist vor dem Konzert. Er prüfte, ob die Balsamierungsflüssigkeit fertig und in ausreichender Menge vorhanden war. Ci/IKx VI = Cf/KIx Vf/VI. Initiale Konzentration des Formaldehyds, Volumen des Produkts im Injektionsbehältnis, Konzentration der Mischung in besagtem Behältnis, Volumen des Injektionsbehältnisses. Dann öffnete er den plombierten Deckel. Dies war immer ein eigenartiger Augenblick. Eine Mischung aus Aufregung und Angst angesichts der unmittelbar greifbaren Präsenz des Todes.
    Beim Anblick des kleinen wächsernen Gesichts empfand er, wie schon in der Kapelle, ein Gefühl des Widerwillens. Man hätte meinen können, da läge ein kleiner schlafender Vampir, die Wangen eingefallen, das Haar sorgsam gekämmt, die kleinen Wimpern gesenkt, die Hände, vor allem die Hände, diese kleinen, über der mageren Brust gefalteten Hände und die winzigen Nägel mit dem transparenten Lack.
    Sie fing schon an zu riechen. Nur ein wenig, aber unverkennbar, dieser so typische Geruch der Toten.
    Er hob den Kopf, sprühte sich eine aromatische Mischung auf der Basis von Kiefernnadeln und Lavendel in die Nase, seufzte. El Ayache wäre nicht zufrieden mit ihm gewesen.
    Gut, er musste erst den Körper entkleiden. Er nahm die Hände, kalt und trocken, auseinander und begann, das weiße Kleidchen aufzuknöpfen, das unter seinen Fingern raschelte. Ein Knopf gab nach und blieb in seiner Hand liegen. Er legte ihn neben das Spülbecken, zog die Kleine ganz aus, griff dann nach der großen Sonde, die er ihr in den Magen legen würde, um Wasser und die verschiedenen Körperflüssigkeiten abzuleiten.
    Eine große Narbe verlief von der Hüfte bis zum linken Knie. Er tastete sie mit den Fingerkuppen ab. Eine frühere Fraktur. An der rechten Fessel eine weitere Narbe.
    Irritiert drehte er das Mädchen auf den Bauch. Bläulichrote Flecken, die auf die Lage beim Tod zurückzuführen waren, daneben Hämatome, die zweifellos von dem Sturz herrührten. Noch eine Narbe an der linken Schulter. Er hob das lange Haar hoch und entdeckte das gebrochene Genick: keine äußeren Zeichen. Er drehte das Kind wieder auf den Rücken.
    Eine ausgeprägte Neigung zu Unfällen, wie sie bei einem kleinen Mädchen selten vorkommt. War sie gestorben, weil ihre Spiele wieder einmal zu halsbrecherisch gewesen waren, diesmal leider im wahrsten Sinne des Wortes?
    Die ersten Klänge von Take the A Train von seinem Handy ließen ihn fast zusammenzucken. Er legte die Sonde beiseite und hob nervös ab.
    »Hallo, bin ich mit dem König der Schornsteinfeger verbunden?«
    Greg.
    »Was willst du? Ich bin bei der Arbeit.«
    »Hör auf, du bringst mich noch zum Heulen! Was hältst du von einem kleinen Abendessen beim Inder?«
    »Mit wem?«
    »Ein Tete-a-tete, nur du und ich, ha, ha, ha.«
    »Ich dachte, du wärst in Monaco mit .«
    »Vergiss es, die beiden Landpomeranzen sind mit zwei italienischen Motorradfahrern auf und davon.«
    »Um ehrlich zu sein, ich bin ziemlich kaputt.«
    »Scheiße, Mensch, du bist immer kaputt. Scheint eine Berufskrankheit zu sein .«
    »Gut, okay, also gegen acht Uhr.«
    »Im Taj. Und bitte komm nicht wieder als Totengräber verkleidet. Im Taj gibt es immer ein paar hübsche Drachenköpfe .«
    Und schon wieder saß er in der Falle. Du hast keine Selbstachtung. Du nimmst immer die Opferrolle ein. Wehre dich endlich. Such dir ein Mädchen, führ ein normales Leben, weit weg von Gregs vulgärer Welt.
    Ein normales Leben, höhnte er, und stieß die feine Stahlspitze in den Bauch, was sollte das bitte sein, ein normales Leben? Kann einer, der den ganzen Tag mit Leichen arbeitet, ein normales Leben führen? Die

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