Schneewittchens Tod
Leichter Bariton.
»Ich denke, Sie haben Ihren Preis schon festgelegt«, fügte er wie selbstverständlich hinzu.
Leicht aus der Fassung gebracht, nannte Chib die übliche Summe.
»Gräfin di Fazio hat uns viel Gutes von Ihrer Arbeit erzählt«, fuhr Andrieu fort, als ginge es um die Einrichtung einer neuen Küche. »Ich lege großen Wert auf Qualität.«
Ja, und du hast mit Sicherheit auch viel Erfahrung im Einbalsamieren kleiner Mädchen, dachte Chib und riss sich zusammen, um keine Grimasse zu schneiden. Andrieu gefiel ihm nicht. Zu sauber. Zu gut gekleidet. Eine zu normale Stimme, männlich, ohne vulgär zu sein, distinguiert, ohne schwul zu wirken. Ein perfekter Typ. Passend zu seiner makellosen Frau. Ein perfektes Sitcom-Paar.
»Wenn Sie mir bitte folgen möchten«, sagte Andrieu. »Wir gehen in die Kapelle. Madame wartet hier auf uns.«
Madame gab keinen Ton von sich und trank ihren Tee in Schlucken so winzig wie ihre Tasse.
Sie traten in den Garten, der in strahlendes Licht getaucht war, gingen unter einer blühenden Glyzinie und gelangten zu einer kleinen, im romanischen Stil erbauten Steinkapelle mit einer Tür aus gehämmertem Metall, die Mister Perfect aufstieß. Die Tür quietschte nicht. Nicht eine Fledermaus flatterte auf.
Im Innern der Kapelle war es dunkel und kühl. Tonnengewölbe, das einzige Schiff mit bunten Glasfenstern versehen, die auf naive Art Christi Leidensweg darstellten, ein paar Bankreihen aus unlängst gewachstem Nussbaumholz, ein Altar, beherrscht von einem lebensgroßen Kruzifix, an dem ein schöner Christus aus Olivenholz Tränen vergoss, Chorgestühl entlang der Seitenwände, ein Heiliger Franz von Assisi aus bunt bemaltem Holz, mehrere leere Nischen, die kleine Standbilder oder Kultgegenstände beherbergt haben mussten, an den Wänden alte Standarten mit Wappen und goldenen Aufschriften in lateinischer Sprache. Die unebenen, teils gesprungenen Terrakottafliesen zeugten vom Alter des Bauwerks. Vor dem Altar war das Gerüst aufgebaut. Und auf dem Gerüst ruhte eine kleine Gestalt, bedeckt mit einem weißen Tuch.
Chib holte tief Luft, als Jean-Hugues Andrieu, die Züge angespannt, das Tuch mit einer brüsken Bewegung zurückschlug.
»Meine Tochter Elilou«, sagte er und wandte sich ab.
Die Kleine wirkte nicht wie schlafend. Sie sah tot aus. Die Haut bläulich marmoriert, Wangen und Nasenflügel eingefallen. Ihr langes Haar, derselbe Blondton wie der ihres Vaters, war sorgfältig gebürstet und mit einem roten Samtband versehen. Er sah die kleinen über der Brust gefalteten Hände, die bläulichen Nägel. Sie trug ein weißes Organdykleid und schwarze Lackschuhe mit Riemen.
Chib war beklommen zumute. Er liebte die Toten, liebte seine Arbeit an ihnen. Aber dies hier war einfach zu traurig.
Doch es war unmöglich, einen Rückzieher zu machen, unmöglich, diese Menschen noch mehr zu quälen, indem er ablehnte.
»Sie muss in mein Atelier gebracht werden«, sagte er schließlich.
»Atelier«, ein neutrales Wort, um an eine neutrale Tätigkeit denken zu lassen.
»Wann?«, fragte Andrieu.
»Möglichst heute noch. Die Zeit ist wichtig.«
»Ich weiß«, fiel ihm Andrieu ins Wort. »Und noch etwas: Ich will nichts von dem hören, was Sie tun, die Einzelheiten sind mir völlig gleichgültig, ich lehne es strikt ab, von Ihnen Details zu erfahren, ist das klar?«
»Absolut klar. Können Sie veranlassen, dass sie am späten Nachmittag bei mir abgeliefert wird? Hier ist die Nummer eines Transportspezialisten.«
Andrieu nahm die Karte entgegen, die er ihm hinhielt, als handelte es sich um die Nummer für Telefonsex.
»Sehr gut. Ich kümmere mich sofort darum.«
Er steuerte auf die Tür zu, und Chib folgte ihm, den Blick auf die alten Terrakottafliesen gerichtet.
Als sie draußen waren, schlug Andrieu ihm nicht vor, sich von seiner Frau zu verabschieden. Er nahm das Walkie-Talkie, das er am Kroko-Gürtel trug, und rief: »Aicha, können Sie bitte Monsieur Moreno begleiten?«
Aicha tauchte augenblicklich auf und strich ihr Kleid glatt.
»Meine Frau wird Sie morgen anrufen«, sagte Andrieu und drückte Chib die Hand. »Danke, dass Sie gekommen sind.«
Sprach's und verschwand im Kakteen-Pavillon.
Chib folgte Aicha zum Tor. Sie war gut gebaut, knackiger Hintern, herausfordernder Busen. Ob sie der brave Familienvater aufs Kreuz legte?, fragte er sich flüchtig. Als hätte sie seine Gedanken erraten, drehte sie sich um: »Monsieur macht sich große Sorgen um Madame. Er fürchtet
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