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Schneewittchens Tod

Schneewittchens Tod

Titel: Schneewittchens Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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Gesellschaft der Lebenden ist mir zu laut, das ist das Problem. Ein Aspekt des Problems.
    Gut. Und jetzt die Großreinigung. Da das Kind durch den Sturz sicher eine Schädelverletzung erlitten hatte, klammerte er vorsichtig die linke Halsschlagader ab, um über die rechte injizieren zu können. Anschließend würde er über dieselbe rechte Ader das Formaldehyd einspritzen, um die linke Kopfhälfte zu behandeln und damit das hässliche Anschwellen des Gewebes um die Augen zu vermeiden. Dann machte er einen Schnitt in die Drosselvene, über die die Organflüssigkeiten abfließen würden. Das war der Augenblick, in dem der Austausch stattfand. Blut gegen Formalin. Neue Sonde; diesmal führte die durch einen langen Gummischlauch mit der Balsamierungsflüssigkeit in einem Spezialbehältnis verbundene Sonde in die Halsschlagader. Der unsinnige Eindruck entstand, ein eigentümliches Fahrzeug vollzutanken. Chib legte den Zeigefinger auf den Startknopf des Kompressors, hielt jedoch plötzlich inne. Er hatte den unangenehmen Eindruck gehabt, dass die Kleine die Lider bewegt hatte. Lächerlich. Das arme Mädchen war nichts weiter als ein Haufen kaltes, starres Fleisch. Er drückte auf den Knopf. Der Apparat sprang mit dem vertrauten Vibrieren an und trieb die Balsamierungsflüssigkeit in die Halsschlagader, damit sie sich im Kreislaufsystem verbreiten und das Blut verdrängen konnte, das aus der geöffneten Vene in den für diese Zwecke angebrachten Drain zu tropfen begann. Gut. Er setzte das Skalpell an, klappte vorsichtig die Ränder des etwa zehn Zentimeter langen Schnittes auf, durch den er Leber, Lunge, Magen und Gedärme entfernen, sie dann waschen und in die Kanopen, die geweihten Krüge, geben würde. Obwohl es bei der Injektion von Formaldehyd eigentlich überflüssig war, zog er es vor, nach der herkömmlichen Methode vorzugehen, Ritual und Moderne zu vermischen …
    Er arbeitete noch eine halbe Stunde und legte dann die Instrumente beiseite. Er war nicht richtig konzentriert, ihm fehlte das entsprechende Feeling. Er holte tief Luft, atmete kräftig aus, machte ein paar Dehnübungen. Die Nervosität lief durch seine Finger wie ein elektrischer Schauer. Kein guter Zustand für die Arbeit. Was brachte ihn so aus dem Gleichgewicht?
    Er nahm die Anubis-Stellung ein und begann die zweiundsiebzig Strophen der Wächter der Geheimnisse, murmelte sie im Gleichklang mit seiner bewusst verlangsamten Atmung.
    Telefon.
    Mist!
    »Hier ist Blanche Andrieu.«
    »Ja bitte?«
    »Ich wollte nur wissen, ob . ob alles gut verläuft .«
    Super gut, Madame, der Sarotti-Mohr hat alles zerlegt, no problem!
    »Ich habe eben erst angefangen, aber ich sehe keine Schwierigkeiten. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.«
    »Ich mache mir keine Sorgen, aber es ist einfach so, dass … Ich wollte sagen .«
    » Blanche? Bist du da, Cherie?«
    »Entschuldigen Sie, ich werde gerufen.«
    Klack. Entlassen, der Mohr hat seine Schuldigkeit getan. Er knallte den Hörer etwas zu heftig auf die Gabel. Er hätte den Auftrag nicht annehmen dürfen. Wie bei Greg. Wie jeden Tag in seinem Leben.
    Er öffnete die Tür seines Mini-Eisschranks und nahm einen kräftigen Schluck aus dem Krug mit Pfefferminztee und wandte sich erneut Elilou zu. Sie sah erbärmlich aus, nackt, die Rippen vorstehend, mit dieser riesigen Nadel im Hals. Ein albtraumhaftes Bild, das nichts mit der üblichen Erhabenheit der Verstorbenen zu tun hatte.
    Plötzlich bemerkte er, dass ein Formular auf den Boden gefallen war. Er hob es auf. Es war der Totenschein. Unterzeichnet von Dr. Gerard Cordier. »Fraktur der Halswirbel als Folge eines Sturzes auf der Treppe des elterlichen Hauses.« Drei kleine Knochen. Deren Bruch tödlich war … Ja, wirklich halsbrecherisch, die kleine Elilou, wiederholte er bitter.
    Zwei Minuten später überraschte er sich dabei, wie er die Nummer von Dr. Cordier wählte. Seine Finger in dem schmutzigen Latexhandschuh drückten kräftig auf die Tasten.
    Mit bewegter Stimme teilte ihm dessen Sekretärin mit, dass, oh, was habe er für ein Glück, soeben ein Patient abgesagt habe und der Doktor - verzückte, zitternde Stimme - ihn in einer Stunde empfangen könne. Chib bedankte sich herzlich und machte sich, sonderbar erleichtert, wieder an die Arbeit.
    Er verbrachte eine halbe Stunde in dem weiß und grau gehaltenen Wartezimmer des Arztes zwischen einem Koloss, der sich alle zwei Minuten schnauzte, und einer Frau im Trainingsanzug mit abgespanntem Gesicht. Er

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