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Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Titel: Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lehmacher
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festzuhalten.
    Wenig später in der Klinik warten Sarahs Großeltern schon auf sie. Ein Herr mit ungekämmten weißen Haaren, der aschfahl im Gesicht ist, und eine ältere Dame, die Sarah schweigend in den Arm nimmt. Sie hat eine Schürze um und Hausschuhe an.
    Erst nach einer Weile redet sie mit dem Mädchen, es klingt beinahe gefasst: »Gott sei Dank ist wenigstens dir nicht auch noch etwas passiert. Das ist ja ganz furchtbar.«
    Dann kümmert sich eine Mitarbeiterin aus dem Krankenhaus um die Großeltern und das Kind.
    »Wir müssen erst mal unseren Koffer genau durchchecken. Keine Ahnung, ob da drin noch annähernd alles passt«, sagt Hardy, als wir zum Wagen zurückgehen.
    Ich reagiere darauf erst mal nicht.
    Jetzt hat doch alles Zeit.
    Ich blicke durch eine große Scheibe nach draußen. Die Sonne, von Wolken umhüllt, steht schon weit unten am Horizont.
    Der 33/04 hat neben uns geparkt, aber die Kollegen sind anscheinend noch mit ihrem Patienten in der Klinik.
    »Unsere Blutdruckmanschette fehlt«, stellt Hardy fest.
    Ich helfe ihm nachsehen, ob sie vielleicht irgendwo in der Tasche unseres EKG s oder der Beatmungsplatte steckt, aber sie bleibt verschwunden.
    »Oh. Da wird der Chef begeistert sein … Ein Blutdruckgerät ist eigentlich kein Einmalartikel.«
    »Ja«, sage ich.
    Als wir uns etwas später bei der Leitstelle »klar« melden wollen, sehe ich im Seitenspiegel Maike auftauchen. »Das ist vermutlich eures!«, ruft sie und hält uns das gesuchte Gerät hin.
    »Danke. Ja«, sagt Hardy. »Ich leg es bei unserem nächsten Stopp wieder in den Koffer. Hoffentlich auf der Wache zum Dienstende.«
    Wieder »komplett« machen wir uns auf den »Heimweg«. Und trotzdem lässt mich das Gefühl nicht los, wir hätten da draußen etwas vergessen.
    Die Nachtschichtkollegen stehen schon in der Fahrzeughalle, als ich unser Auto rückwärts durch das Tor der Wache fahre.
    »Hattet ihr viel?«
    »Drei«, sagt Hardy nur knapp, als er aussteigt. »Zwei blinde und ein schwerer VU .«
    ***
    An diesem Abend wollten Renate und ich eigentlich mal wieder zu unserem Italiener gehen. Die Kinder sind bei Oma und Opa. Renate hat auch schon ihr neues Kleid an, als ich nach Hause komme.
    »Ich mag nicht«, sage ich. »Ich mag heute Abend zu Hause bleiben.«
    »Okay«, sagt sie. Sie lässt mich zu meiner Erleichterung erst einmal ankommen.
    Ich gehe ins Wohnzimmer.
    Nach einer Weile steht sie in der Tür.
    »War was heute? Nicht so gut, hm?«
    Ich nicke. »Ja, stimmt. Nicht so gut.«
    Ich zappe zwischen ein paar Fernsehprogrammen hin und her.
    Sie schaut mich an: »Was hast du denn da gemacht …?«
    Die Stelle, an der mich am Nachmittag die Bremse gestochen hat, brennt und juckt. Das fällt mir jetzt erst auf.
    »Egal«, sage ich. »Es ist egal.«
    »Ich koche uns was Schönes«, sagt Renate. Dann verschwindet sie in der Küche.
    Irgendwie bin ich beim Zappen auf den »Aus«-Schalter gekommen. Eine ganze Weile lang merke ich gar nicht, dass ich auf die dunkle Scheibe des Fernsehgerätes glotze. Ich denke an die zwei blinden und den schweren VU , an die kleine Sarah, an dieses weiße Einmallaken und diese Umrisse, die einmal ihr Vater waren. Und daran, dass wohl viele Leute das überraschend schöne Wetter heute genutzt haben, um noch einmal wandern oder spazieren zu gehen.
    Von draußen klopfen Regentropfen an die Scheibe, hinter der es schon dunkel ist, ziehen ihre Bahnen nach unten, treffen sich beim Herunterlaufen mit anderen Tropfen. Der Regen, der angesagt war, ist nun da.
    Wenn es doch nur einen halben Tag früher begonnen hätte zu regnen …

Epistaxis
    I ch sitze im »Wohnzimmer« der Wache und unterhalte mich noch ein wenig mit Pit, der Tagschicht hatte, während Bernd im Büro ist. Er kommt, wie ich, ursprünglich aus der Gegend um Stuttgart, das Schwäbische ist nicht zu überhören. Er ist deutlich größer als ich, steht jetzt mit gesenktem Kopf im Türrahmen und erzählt mir, was tagsüber los war. Gleich bei dem ersten Einsatz war ein Fahrradfahrer gegen ein parkendes Auto gefahren und in hohem Bogen aus dem Sattel geschleudert worden.
    »Eine Frau, die auf dem Gehweg stand, wollte ihn noch warnen und schrie, aber da war es schon zu spät. Er konnte weder bremsen noch ausweichen. Sag mir mal, Georg, wie kann man beim Fahrradfahren SMS schreiben?«
    »Tja …«
    »Na, der war mit den Augen auf keinen Fall auf der Straße. Der hat sich nicht mal dafür interessiert, dass er sich beim Sturz die Lippe an einem Zaun

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