Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
Ob die sich überhaupt noch vor etwas fürchten? Wer weiß, was in denen vorgeht. Diese Themen sind zu persönlich, ja fast schon tabu im Alltag dieses Berufs.
Ein Blick auf die Uhr: Es ist eine Minute vor sechs und eben ein paar Minuten zu spät, um meinen Tagschichtkollegen abzulösen, der jetzt im Rettungswagen sitzt und irgendwo da draußen unterwegs ist oder schon bei einem Einsatz. Ich gehe in den Wachraum, schaue, ob ich die Handynummer von Fred finde. Wenn der Einsatz nicht weit von der Wache ist, könnte ich vielleicht mit dem privaten Pkw hinterherfahren. Bis der Patient gecheckt und transportfertig ist, dauert es ja sowieso. Ich könnte einen günstigen Moment abwarten und ihn am Einsatzort ablösen.
Ich schicke Fred eine SMS , aber ich bekomme keine Antwort. Blöd so etwas, ziemlich sicher ist der jetzt verärgert.
Ich versuche am Funk etwas mitzubekommen. Aber seitdem die meisten Funksprüche, wie zum Beispiel das Erreichen des Einsatzortes, durch das Drücken von Tasten am Funkhörer ersetzt worden sind, bekommt man kaum noch etwas mit. Ab und zu hört man vom Hof her das Geräusch eines Autos. Vielleicht hatten die Kollegen ja einen blinden Alarm und sind vorzeitig zurück?
Die Zeit verstreicht, es ist kurz vor halb sieben, ich hole mir einen Kaffee. Seltsamerweise kann ich trotz Kaffee meist gut einschlafen, wenn ich Dienst habe, aber ich bin schneller wieder wach. Fred hat sich immer noch nicht gemeldet, na klasse, ganz sicher ist der so richtig sauer, seinen Abendtermin kann er jetzt streichen.
Wenig später ist die Kaffeetasse leer, ich höre Schritte im Flur, ich schaue raus, aber es ist nur Dieter, ein Kollege, der auf einer Außenwache Dienst hatte und vorbeischaut, um die Transportberichte seiner Tagschicht abzuheften. Die Uhr im Flur zeigt 18.38 Uhr.
»Hallo«, begrüßt mich Dieter, »was machst du hier?«
»Nachtdienst.«
»Ohne Auto?«
»Die sind noch draußen, ich hab sie knapp verpasst, Fred von der Tagschicht ist noch mal mit rausgefahren.«
»Fred?« Er schaut etwas auf dem Monatsdienstplan nach. »O je, na, der wird stinkig sein.«
Es ist schon kurz nach halb. Auf meinem Handy ist immer noch keine Antwort.
»Wie war’s bei euch heute so? Mit wem warst du überhaupt unterwegs?«
Er hebt die Hand zum Zeichen, dass ich mal still sein soll.
Ich habe nichts gehört, horche nun aber auch.
»33/37, setzen Sie die Voranmeldung ab« – der Leitstellenfunk.
33/37: Das ist »mein« Wagen. Also fahren sie offenbar gerade mit einem Patienten los zu einer Klinik. Voranmeldung, eine Vorabinformation für die Klinik, über Funk wird es der Leitstelle weitergegeben, die dann alles Weitere organisiert, wenn etwas entsprechend eilig ist und im Krankenhaus sofort behandelt werden muss. Fred höre ich mit Unterbrechungen. Abgehackt, aber es ist seine Stimme.
»… Zustand nach Rea … etwa drei Monate alt … Voranmeldung für …«
Der Leitstellendisponent, der klar bei uns ankommt, wiederholt die Meldung: »33/37, Voranmeldung Kinderklinik mit Anästhesie, Zustand nach Reanimation, Kind männlich, drei Monate, Eintreffen etwa sieben bis acht Minuten.«
»Dauert also noch«, sagt Dieter, »du hast noch Zeit, bis die da sind, das geht sicher noch bis halb acht.« Mein spätes Eintreffen nervt mich, und ich habe keine Lust auf den verärgerten Fred. Dass er jetzt auch noch eine Säuglingsreanimation hat, tut mir leid. Dann habe ich das Bild meiner letzten Säuglingsrea vor Augen. Erfolglos. Die Erinnerung daran ist wie ein kaltes Gefühl im Nacken. Dabei ist es über zehn Jahre her. Und dann denke ich auch an diese Unsicherheit, die man dabei hat, weil man das nicht oft macht. Während des Einsatzes. Und danach: Lief da wirklich alles richtig? Man sucht und sucht nach etwas, das falsch gelaufen sein könnte, auch wenn sich nichts finden lässt. Das wäre mein Einsatz gewesen. Puh. Immerhin scheint es dieser Säugling zu schaffen.
Dann schließt Dieter den Ordner, der vor ihm liegt, schiebt ihn in das Regal zurück und geht.
»Ruhige Nacht noch!«, ruft er, bevor hinter ihm die schwere blaue, metallene Sicherheitstür ins Schloss fällt.
Untätiges Herumsitzen. Mir fällt ein, dass ich mal kurz in die Waschhalle schauen könnte. Tatsächlich steht da noch ein von einem schmutzigen Grau überzogener Krankentransportwagen. Und draußen vor der Halle noch einer. Wenigstens hier kann ich mich nützlich machen und mein schlechtes Gewissen gegenüber Fred ein wenig aufpolieren. Also fange
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