Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
13. September.«
Das Datum stimmt.
»Und welches Jahr?«
»1967. Nein … 1962. Nein …« Er überlegt. »2008.« Immerhin: 2008 ist korrekt.
»Und wer hat Ihnen die Frage sonst noch gestellt?«
»Na, die in der Klinik.«
»Im Zentralklinikum?«
»Nein, dahinter. Die in diesem Flachbau.«
Er meint also wohl das Bezirkskrankenhaus.
»Waren Sie da schon öfters?«
»Nein. Nur heute.«
»Haben Sie heute etwas getrunken?«
»Nein!!!« Seine Stimme ist hörbar gereizt. »Das heißt, natürlich habe ich etwas getrunken, mein Herr. Unterlassen Sie gefälligst diese Fangfragen, darauf falle ich nicht herein! Jeder Mensch trinkt etwas. Aber – ich habe keinen Alkohol getrunken, wenn Sie das meinen!«
Leise sage ich zu meinem Notarzt:
»Okay, dann ist er also da vermutlich heute oder gestern irgendwann aus dem Bezirkskrankenhaus abgehauen.«
»Bestell doch schon mal ein Auto, es wird wohl ein Transport«, sagt er.
Ich gehe ein wenig zur Seite und gebe der Leitstelle Bescheid.
»Leitstelle von 33/64, es wird vermutlich ein Transport. Schicken Sie mir bitte ein Fahrzeug.«
Herr Gantenbein ruft von hinten: »Hier wird niemand transportiert. Jedenfalls nicht ich. Was Sie machen, ist Ihre eigene Sache.«
Dr. Lengenfelder fragt zaghaft: »Herr Gantenbein. Würden Sie mit ins Krankenhaus kommen?«
»Nein.«
»Wir würden Sie aber gern mal mitnehmen.«
»Wegen meines Arms?«
Tatsächlich hängt der rechte Arm des Mannes schlaff herab, während er mit der anderen nach wie vor diese Aktentasche festhält.
»Was haben Sie am Arm?«
»Das ist, seit ich die Treppe runtergestürzt bin. Der ist schon dreimal operiert worden. Das wird sowieso nichts mehr. Den kann ich nicht mehr bewegen. Da brauchen Sie sich nicht bemühen. Ich bleibe hier! Außerdem will ich jetzt endlich ins Bett.«
Ohne seine Zustimmung dürfen wir den Herrn aber nicht mitnehmen. Wir brauchen entweder sein Einverständnis – oder die Polizei. Da der Mann zunehmend ärgerlich wird, möchte ich ihm das eigentlich nicht noch unter die Nase reiben. Ich ziehe meinen Arzt auf die Seite und flüstere leise: »Ich lass die Polizei kommen, oder?«
Aber Herr Gantenbein hat sehr gute Ohren.
»Die Polizei?!?«, ruft er.
Hoppla , denke ich mir, jetzt wird er möglicherweise gleich noch auf uns losgehen. Aber zu meiner Überraschung ist Herr Gantenbein von meinem Gedanken begeistert. »Die Polizei? Ausgezeichnete Idee, junger Mann! So geht das nämlich nicht. Man kann nicht einfach anderen Leuten das Haus zumauern. Die Polizei soll sich gefälligst mal kümmern, es wird höchste Zeit.«
Immer wieder Scheinwerferlicht, das auf die Mauer fällt, und Rollgeräusche von Autos, die hinter uns über die Pflastersteine fahren.
Als ich mich umdrehe, sehe ich einen Rettungswagen, der jetzt hinter unserem NEF steht.
Kurz erkläre ich den Kollegen, was Sache ist, und dass wir planen, den älteren Herrn in eine Klinik zu bringen, um ihn dort einem Psychiater vorzustellen.
Der Fahrer des Rettungswagens geht auf Herrn Gantenbein zu.
»Wie heißen Sie denn?«
»Gantenbein. Robert Gantenbein. Gantenbein, wie das Buch von Max Frisch. Aber das hätte Ihnen auch schon Ihr Kollege sagen können.«
»Wohnen Sie denn alleine, Herr Gantenbein?«, schaltet sich Dr. Lengenfelder wieder ein.
»Bei meiner Tochter im Haus. Aber ich habe eine eigene Wohnung. Die wird auch sauer sein, wenn sie morgen früh mit dem Auto nicht rauskommt.«
»Ja, ja, schon gut, Herr Gantenbein.« Langsam scheint ihn dieses Gerede zu nerven. »Haben Sie eigentlich Zucker?«
»Wie bitte?«
»Ob Sie Zucker haben?«
»Nein. Süßstoff!« Er stellt die Aktentasche zu seinen Füßen ab und fischt ein weißes Döschen aus seiner linken Jackentasche.
Jetzt muss ich kurz lachen.
»Was ist denn daran so komisch?«, möchte er wissen.
»Ihre Tochter … – kümmert die sich denn um Sie?«, stellt der Notarzt die nächste Frage.
»Nein. Die hat genug mit sich selbst zu tun. Und außerdem …«, der alte Mann dreht sich mir ein wenig vertraulich zu, »… ist sie oft so durcheinander.«
Wieder nähert sich ein Auto, die Funkstreife. Das ging verhältnismäßig schnell.
Die beiden Polizeibeamten, die aussteigen, sind dem Anschein nach gerade mal Mitte zwanzig.
Oh, die sind aber noch jung … , schießt es mir spontan durch den Kopf, … hoffentlich mangelt es denen nicht am Respekt. Der alte Mann tut mir irgendwie leid. Auf eine Art ist er mir in seiner störrischen Art sympathisch, und ich hoffe,
Weitere Kostenlose Bücher