Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
einer weißen Schneedecke überzogen. Es geht aufs Land, nach Sirchenried. Verdacht auf Herzinfarkt. Ich notiere die Zeit, zu der der Einsatz beginnt: »1.48 Uhr«.
Der Ort liegt schon im Grenzbereich zum Gebiet der Leitstelle Fürstenfeldbruck, dort war ich schon länger nicht mehr. Felix fährt los, ein, dann ein zweites Mal testet er vorsichtig die Bremsen, die Straße unter uns scheint noch griffig zu sein.
Schweigend fahren wir durch die blau reflektierende Nacht, in der Gebäude, Bäume und Schilder unser Blaulicht stroboskopartig zurückwerfen. Leere Straßen, man sieht uns in der Dunkelheit ohnehin weiter, als man uns hören könnte – wir brauchen kein Horn, und wir reden nicht viel. Während Felix konzentriert fährt, habe ich noch Zeit, um erst mal richtig wach zu werden, im Rückspiegel erkenne ich durch die halb zugekniffenen Augen unser NEF . Die Außentemperatur liegt jetzt bei minus zwei Grad, Felix fährt sehr zügig, aber trotzdem vorsichtig, abwechselnd richten sich seine Blicke mal nach draußen, wo die Straße uns hinführt, dann wieder kontrollierend auf den Tacho und die Außentemperaturanzeige.
»Weißt du, wovor ich Angst habe?«, fragt er mich, und bevor ich antworten kann, fügt er hinzu: »Davor, dass es irgendwo in einer Kurve doch mal spiegelglatt ist.«
Ich nicke. »Und weißt du, wovor ich Schiss hätte?«
»Nö.«
»Mit jemandem zu fahren, der keine Angst davor hat, dass es in einer Kurve doch mal spiegelglatt ist.«
Wir fahren schon in den Ort hinein, im vorbeiwandernden Licht einer Straßenlaterne sehe ich Felix lächeln, ich setze mich gerade hin, schaue mit nach den Straßenschildern, die unser hellblaues Licht schon weit vor uns reflektieren, dann biegen wir in die Lindenallee ein, und ich suche nach der richtigen Hausnummer.
Diese Neubausiedlung ist sicher keine schlechte Wohngegend , denke ich.
Da gibt Felix noch einmal Gas und stoppt wenig später vor einem Einfamilienhaus, aus dem noch Licht fällt, das einzige in dieser Straße. Das Gartentürchen steht schon offen, der Hauseingang ebenfalls. Der Weg, der Eingang und die Hausnummer 22 neben der Tür sind beleuchtet. Hinter uns hält das NEF : Dr. Nadl. Und Jens.
»Erster«, behauptet der frech, als er aussteigt. Während wir zu viert mit unserer Ausrüstung in Richtung dieser Tür gehen, sage ich noch schnell leise: »Du Lügner!«, aber dann sind wir auch schon in Hörweite der Frau, die uns in einem grauen Jogginganzug entgegenkommt, und wir konzentrieren uns auf das, was sie uns sagt.
Sie führt uns zu ihrem Mann ins Schlafzimmer in den ersten Stock, ein großzügiger, heller Raum mit viel Freiflächen und großen Dachgauben. Hinter einer Tür bellt ein Hund, manchmal springt er gegen sie.
Während wir dem Mann das Blutdruckmessgerät anlegen und das Pulsoxymeter, um den Sauerstoffgehalt des Blutes zu messen, beginnt Dr. Nadl mit der Befragung des Patienten.
»Wie fing das mit den Schmerzen denn an?«
»Er hat zurzeit so viel Stress im Beruf«, antwortet die Frau für ihren Mann. »Er ist unterwegs wie ein Wahnsinniger und schmeißt den ganzen Laden, jetzt ist ihm einfach alles zu viel geworden …«
»Ja«, sagt Dr. Nadl. »Aber deswegen haben Sie uns ja nicht gerufen, was liegt denn ganz akut vor?«
Der Hund bellt immer noch. So wie es klingt, wenn er gegen die Tür springt, ein schweres, größeres Tier – hoffentlich ist die Tür richtig zu.
»Er hatte den ganzen Tag schon Atemnot«, sagt die Frau, noch bevor der Patient, der sichtlich nach Luft ringt, sich selbst äußern kann. Ich schaue sie kurz an: Ihre braunen Haare sind akkurat hochgesteckt, die großen silbernen Ohrstecker sehen dazu jedoch klobig aus.
»Den ganzen Tag über? Und warum rufen Sie dann erst jetzt an?«
»Richtig schlimm ist es erst seit ein oder zwei Stunden«, antwortet sie.
Felix schaut auf den Monitor: »Die Sauerstoffsättigung im Blut ist bei 97 Prozent.«
Neugierig wartet die Frau des Patienten darauf, dass Dr. Nadl diesen Wert kommentiert. Mit einem betont fragenden Blick schaut sie auf das Gerät und dann in seine Richtung, aber er notiert lediglich etwas in dem Protokoll.
»Wissen Sie«, fängt die Frau an zu erzählen, »mein Mann ist im Außendienst. Er betreut die Großmärkte in ganz Bayern, hat nebenher noch die Leitung des Außendienstes für Süddeutschland und die stellvertretende Geschäftsführung. Mehr Geld gibt es seit über einem Jahr nicht. Ich sag schon lange, dass das wenigstens anders bezahlt
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