Schneller als der Tod
einfach deprimierend.
Wem gibt man die Schuld am großen Brand? Den Juden! An der Pest? Den Juden! Daran, dass ganz Europa von antisemitischen Scheijikerlen regiert wird? Den Juden!
Um 1800 machten Juden ein Drittel der Einwohnerschaft von Krakau aus, um 1900 ein Viertel und 1945 null Prozent.
Am Morgen, auf dem Weg vom Bahnhof zum Hotel, kaufte ich meinen Fahrschein für den Bus nach Auschwitz.
Das meiste davon erspare ich Ihnen.
Als Auschwitz in Betrieb war, bestand es eigentlich aus drei Lagern: dem Todeslager (Birkenau, auch Auschwitz II genannt), dem Lager der LG. Farben (Auschwitz III oder Monowitz), wo die Zwangsarbeiter untergebracht waren, und dem dazwischenliegenden Stammlager, einer kombinierten Sammel- und Vernichtungsstelle (Auschwitz I oder schlicht Auschwitz). Da die Deutschen Birkenau bei ihrer Flucht sprengten - zum Beweis für Piatos These, dass die Scham des Menschen allein auf der Furcht vor der Entdeckung beruht - und die Polen der Steine wegen dann die Trümmer geplündert haben, befindet sich das Hauptmuseum in Auschwitz I.
Man kommt mit Bussen dorthin, die wie durch ein Überholmanöver der Geschichte moderner sind als jeder Bus der Vereinigten Staaten. Die Polen nennen den Ort
Oswiecim -
nirgendwo sieht man ein »Auschwitz«-Schild. Die Gegend ist vollständig industrialisiert und besiedelt. Apartmenthäuser stehen gegenüber dem Konzentrationslager, wobei die Fremdenführerin auf Polnisch darauf hinweist, dass sie inzwischen einem Supermarkt gewichen wären, wenn sich militante Juden aus aller Welt nicht auf die Hinterbeine gestellt hätten. Man blickt sich um, ob jemand Anstoß an dem Kommentar nimmt, aber die Einzigen, die mit den Zähnen knirschen, sind eine chassidische Familie hinten im Bus.
Man überquert einen Vorhof. Die Nazis haben das Lager erweitert, solange sie konnten, und so muss man, um zu dem berühmten Eingangstor mit der Aufschrift
Arbeit macht frei
zu kommen, erst einmal ein Gebäude mit Snackbar, Filmpavillon und Kasse passieren. Hier wurden den Insassen früher die Köpfe geschoren und die Nummern eintätowiert, und hier hielten die Nazis ihre jüdischen Sexsklavinnen. Es riecht nach Kanalisation, weil die Toiletten nicht gereinigt werden, und auf den Fotos sehen die Tätowierungen noch nicht mal wie die der Großeltern aus.
An einem zwanzig Meter hohen Holzkreuz hinter dem Tor verteilt ein Haufen Nonnen und Skinheads Flugblätter über das Bestreben von Juden aus aller Welt, den katholischen Gottesdienst in Auschwitz zu verbieten, obwohl doch Polen ein katholisches Land ist. Da juckt es einen in den Fingern, so einem Skinhead den Hals umzudrehen, und man muss an Freuds Maxime denken, dass das Einzige, was uns im Leben wirklich glücklich macht, die Erfüllung von Kindheitswünschen ist.
Aber man tut, was man tun soll. Man sieht sich die von Stacheldraht umzäunten Baracken an, die Galgen, die Wacht- und Schießtürme. Das Gebäude für die medizinischen Experimente. Die Krematorien. Man stellt sich die Fragen: Würde ich die Gaskammern reinigen, um einen Monat länger am Leben zu bleiben? Würde ich die Öfen bestücken?
Man fühlt sich grauenhaft.
Schließlich wundert man sich, dass den Opfern jeder erdenklichen Nationalität - Slowenen zum Beispiel - eine Baracke geweiht ist, Juden jedoch nirgends erwähnt werden. Man fragt einen Wärter. Er zeigt auf die andere Straßenseite.
Man findet Baracke 37 und stellt fest, dass der Wärter zum Teil recht hat. Es ist eine Kombibaracke, die einzige in Auschwitz. Slowaken (die Erstbesetzung, wie aus den Schildern hervorgeht) und jetzt auch Juden. Bloß ist das Ganze geschlossen, mit einer Kette um den Türgriff. Später stellt sich heraus, dass diese Baracke immer schon öfter geschlossen als geöffnet gewesen ist und beispielsweise von 1967 bis 1978 überhaupt nicht zu betreten war. Die chassidische Familie aus dem Bus blickt ratlos auf die Kette.
Natürlich tritt man das scheiß Kettenschloss los, stößt die Tür auf und lässt der chassidischen Familie den Vortritt.
Drinnen sieht man eine Menge üblen Mist, denn in Auschwitz sind so viele Juden umgekommen, dass die Sachen, die sie hinterlassen haben - das Haar, die Holzbeine der Veteranen, die im Ersten Weltkrieg für Polen kämpften, die Kinderschuhe und so weiter - ganze verglaste Räume füllen, in denen sie vor sich hin gammeln. Die beiläufig bösen Museumsplaketten - mit dem abgekratzten »polnische« bei »polnische Juden« und der Information, dass die
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