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Schneller als der Tod

Schneller als der Tod

Titel: Schneller als der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josh Bazell
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hinten reinzugehen, doch ehe ich's mich versah, war ich schon die Treppe hoch und hatte an der Klingelschnur gezogen.
    Mir brach der Schweiß aus, als wollte das Wasser in meinem Körper stellvertretend für mich davonlaufen. Ich ermahnte mich zur Ruhe, dann hörte ich auf damit. Was nützte es?
    Die Tür ging auf. Ein verhutzeltes Gesicht. Weiblich. Zumindest war der Hausmantel rosa. »Ja?«, sagte sie auf Polnisch. »Ich suche Wladislaw Budek.« »Er ist nicht da.«
    »Langsam bitte«, sagte ich. »Mein Polnisch ist schlecht. Wann kommt er wieder?«
    Sie musterte mich. »Wer sind Sie denn?«, sagte sie.
    »Ich bin Amerikaner. Meine Großeltern kannten ihn.«
    »Ihre Großeltern kennen Wladis?«
    »Ja. Kannten. Sie sind tot.«
    »Wie hießen sie denn?«
    »Stefan Brnwa und Anna Maisei.«
    »Maisei? Das hört sich jüdisch an.«
    »Ist es auch.«
    »Sie sehen nicht wie ein Jude aus.«
    Es kam mir vor, als würde dafür ein Dankeschön erwartet. Ich sagte: »Sind Sie Frau Budek?«
    »Nein. Ich bin Wladis Schwester, Blancha Przedmiescie.«
    Plötzlich wurde das Ganze surreal. Meine Großeltern hatten von dieser Frau erzählt. Angeblich hatte sie während des Krieges gleichzeitig mit einem Nazi und mit einem Mann gebumst, der Verbindungen zum jüdischen Widerstand hatte, wodurch das Komplott ihres Bruders erst möglich geworden war.
    Sie sagte etwas, das ich nicht verstand. »Bitte?«, sagte ich. »Ich bin mit der Polizei gut bekannt«, wiederholte sie langsam.
    »Wozu sollten Sie die Polizei brauchen?«
    »Ich weiß nicht. Sie sind Amerikaner.«
    Gute Antwort. »Darf ich reinkommen?«, sagte ich.
    »Warum?«
    »Nur, weil ich Ihnen ein paar Fragen zu Ihrem Bruder stellen möchte«, sagte ich. »Wenn die Ihnen nicht passen, können Sie rufen, wen Sie wollen.«
    Sie überlegte. Judenhass mag eine uralte Macke sein, aber Einsamkeit geht bis auf die Amöben zurück. »Gut«, sagte sie schließlich. »Aber zu essen bekommen Sie nichts. Und fassen Sie nichts an.«
    Die Wohnung war muffig, aber aufgeräumt, mit Kastenmöbeln aus den Sechzigern und einem Fernseher mit vorgewölbtem Bildschirm. Auf ein paar Beistelltischen standen gerahmte Fotos.
    Eins zeigte zwei junge Leute vor einer efeubewachsenen Mauer: eine Frau, die diese hier sein konnte, und einen bleichen schwarzhaarigen Mann. »Ist er das?«, fragte ich.
    »Nein. Das ist mein Mann. Er starb beim Einfall der Deutschen.« Mit einer Reihe von Wörtern und Gesten machte sie deutlich, dass es dazu gekommen war, weil ihr Mann in der von Fuhrwerken gezogenen Artillerie diente und die Deutschen Flugzeuge eingesetzt hatten. »Wladis ist hier«, fügte sie an.
    Es war ein unbekümmert wirkender blonder Mann, der auf Skiern auf einem Berggipfel stand und mit vorstehenden Zähnen in der Sonne lächelte. »Ein schöner Mann war er.« Sie schien nur darauf zu warten, dass ich widersprach.
    »Sie sagen, er war. Ist er tot?«
    »Er ist 1944 gestorben.«
    »1944?«
    »Ja.«
    »Wie kam das?«
    Sie lächelte bitter. »Ein paar Juden haben ihn umgebracht. Sie sind durchs Fenster eingestiegen. Sie waren bewaffnet.«
    Es dauerte ein wenig, bis ich begriff, was sie als Nächstes sagte. Offenbar hatten die besagten Juden sie in der Küche gefesselt und ihren Bruder im Wohnzimmer erschossen, nicht weit von der Stelle am Fußende der Couch, wo ich jetzt stand. Sie hatten ein Kopfkissen benutzt, damit man nichts hörte.
    »Aber die Polizei war schon unterwegs«, sagte sie, »und draußen haben sie sie geschnappt.«
    »Wow«, sagte ich.
    Mir war also jemand zuvorgekommen. Mit beträchtlichem Abstand.
    »Es waren ein Junge und ein Mädchen«, sagte sie. »Halbwüchsige.«
    »Bitte?«, sagte ich.
    Sie wiederholte es.
    »Soll das ein Scherz sein?«
    »Wie meinen Sie das?«, sagte sie.
    Mir war schlecht. Ich setzte mich auf die Couch, falls es mir anzusehen war und sie mich rauswerfen wollte.
    Ich brauchte mehr Informationen. »Wie sahen sie aus?«, sagte ich.
    Sie zuckte die Achseln. »Wie Juden.« Ich versuchte es anders. »Wieso war die Polizei schon unterwegs?«
    »Was meinen Sie damit?« Sie setzte sich auf einen Sessel, aber nur auf die Kante des Sitzpolsters, in guter Haltung, als wäre sie bereit, jeden Augenblick zum Telefon zu stürzen.
    »Woher wusste die Polizei, dass es Schwierigkeiten gab?«
    »Ich weiß nicht, Wladis hatte sie bereits verständigt.«
    »Bevor der Junge und das Mädchen hereinkamen?«, sagte ich.
    »Ja.«
    »Woher wusste er denn, dass sie im Anmarsch waren?« »Ich

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