Schneller als der Tod
tun, wenn irgendetwas schiefläuft. Es könnte eine Szene aus einem Naturfilm sein.
»Haben Sie ihn direkt in die KG gebracht?«, frage ich den Jungen.
»Nein. Ich sollte ihn im Warteraum lassen, bis die seinen Termin gefunden hatten.«
»Gut. Lust auf einen kleinen Ausflug?« »Ja!«, sagt er.
Ich wende mich an meine Studenten, die gerade eben aus Mosbys und Arschmanns Zimmer kommen. »Okay, Leute«, sage ich. «Falls jemand fragt, wo Mosby ist, sagt ihr, er ist in der Radiologie. Heißt es, da sei schon nachgesehen worden, sagt ihr, ihr habt KG gemeint. Und besorgt mir ein paar Antibiotika, bis der Laborbericht zu dem Nadelstich kommt, den ich abgekriegt habe. Ich brauche ein Cephalosporin der dritten Generation, ein Makrolid und ein Fluoroquinolon. Plus ein paar Antiviralia*
(Antiviralia sind keine Antibiotika, weil Viren im Gegensatz zu Bakterien nicht »biotisch« sind - sie leben nicht. Es sind nur Erbinformationssequenzen, die der Körper als Aufforderung auffasst, identische Sequenzen herzustellen und zu verbreiten. Einige Viren, wie etwa HIV, schließt der Körper zur reibungslosen Vervielfältigung direkt in die Zell-DNA ein, sodass sie zu einem Teil des Organismus werden.)
- alles, was ihr kriegen könnt. Überlegt euch eine Kombination, die mich nicht umbringt. Wenn das zu schwer ist, nehmt das, was ich für Arschmann aufgeschrieben habe, nur jeweils doppelt. Verstanden?«
»Ja, Sir«, sagt einer von ihnen.
»Gut. Macht euch nicht ins Hemd.« Ich wende mich dem Jungen mit dem Hirn-Afro zu. »Kommen Sie mit.«
Im Fahrstuhl frage ich den Jungen noch mal, wie er heißt. »Mershawn«, sagt er. Ich bitte ihn nicht, es zu buchstabieren.
Er hat auf meine Bitte seinen Mantel angezogen. Ich selbst trage einen Kittel mit einem aufgestickten »Dr. Lottie Luise« auf der Brust. Ich weiß zwar nicht, wer Lottie Luise ist, aber sie lässt ihren Kittel an günstigen Stellen herumhängen. Oder ließ.
»Mershawn, lassen Sie sich nicht die Zunge piercen«, meine ich beiläufig, als wir im Erdgeschoss ankommen. »Auf den Mist scheiß ich«, sagt Mershawn.
Draußen vor dem Krankenhaus schneit und regnet es, ein Schmuddelwetter. Die Sicht ist, wie man sagt, getrübt.
Ich weiß nicht, was ich erwartet habe - na ja, Rollstuhlspuren im Schneematsch, wenn ich recht überlege -, aber der Gehsteig ist gestreut, und jede Minute laufen dreißig Leute drüber. Hinzu kommt eine fünfzig Meter lange Blechmarkise auf der Vorderseite. Schwarzes Wasser steht auf dem Gehsteig.
»Wo ist er lang?«, sage ich. Und denke:
Wenn er überhaupt hier raus ist, denn auf jeder Seite des Gebäudes gibt es mindestens einen Ausgang.
»Da lang«, sagt Mershawn.
»Wieso?«
»Da geht's bergab.«
»Ha«, sage ich. »Schon bin ich froh, dass ich Sie mitgenommen habe.«
Die Seitenstraße an der nächsten Ecke fällt noch steiler zum Fluss hin ab als die Hauptstraße, auf der wir jetzt sind. Mershawn nickt, also biegen wir ab.
Zwei Blocks weiter liegt ein acht Meter großer Flecken Schneematsch, auf dem Spuren haften bleiben. Wir wissen das, weil wir eine Unmenge Rillen, die nach Rollstuhlspuren aussehen, darauf erblicken. Die Spuren laufen schräg auf die von Graffiti übersäte Blechtür eines Gebäudes mit vernagelten Fenstern zu, versickern aber, bevor sie wirklich dort ankommen.
Ich gehe an die Tür klopfen. Mershawn sieht skeptisch an dem Gebäude hoch. »Was ist da drin?«
»Das
Pole Vault.«
»Und was ist das?«
»Ist das Ihr Ernst?«
Er sieht mich nur an.
»Es ist eine Schwulenbar«, sage ich.
Die Tür wird von einem fünfzigjährigen Schwarzen mit angegrautem Haar und gewölbter Brust geöffnet. Er trägt ein Holzfällerhemd und eine Bifokalbrille. »Ja, bitte?«, sagt er und legt den Kopf in den Nacken, um uns anzusehen.
»Wir suchen einen älteren Schwarzen im Rollstuhl«, sage ich.
Einen Moment lang steht der Mann nur da und pfeift eine Melodie, die ich nicht kenne. Dann sagt er: »Weshalb?«
Mershawn sagt: »Weil wir beide keinen zu Weihnachten gekriegt haben, und bei Ältere-schwarze-Rollstuhlfahrer-en-gros sind sie ausverkauft.«
Ich sage: »Er ist Patient im Krankenhaus und abgehauen.«
»Nervenklinik?«
»Nein. Er hat Brand an den Füßen. Verrückt ist er aber schon.«
Der Mann überlegt einen Augenblick. Wieder pfeift er dabei.
»Ich weiß nicht, wieso, aber irgendwie hab ich das Gefühl, dass ihr Holzköpfe es gut meint«, sagt er schließlich. »Er ist runter zum Park.«
»Warum war er hier?«, frage
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