Schneller als der Tod
um zu warten.
Ich sagte Skinflick, ich wolle nicht nach Little Odessa.
»Wir gehen nicht nach Little Odessa«, sagte er. Er hakte Denise unter und führte sie den Boardwalk entlang, Richtung Meer.
Der Coney Island Boardwalk muss einer der breitesten der Welt sein. Wenn man so bedröhnt ist, wie wir es waren, nimmt er kein Ende. Und das gilt für den einfachen Fall, dass man obendrauf spaziert. Als wir die Treppe runter zum Strand kamen und die Frauen ihre Hochhackigen auszogen, nahm Skinflick eine Mini-Maglite aus der Tasche und verkündete, wir würden den gleichen Weg zurückgehen, aber
unter
dem Boardwalk entlang.
Wie in dem scheiß Motown-Song.
»Kommt nicht in die Tüte«, sagte Denise. »Da schneide ich mir die Füße auf. Ich heirate morgen.«
»Mach dir keine Gedanken«, sagte Skinflick. »Wenn er dich nicht nimmt, nehm ich dich.«
»Ich werde in eine Crackspritze treten.«
»Es lohnt sich.«
»Für dich vielleicht.«
»Lauf einfach da, wo ich laufe.«
Skinflick ging los, ohne sich noch einmal umzudrehen, und Denise folgte ihm. Es blieb nur das oder der Verzicht auf die Taschenlampe, die er dabeihatte. Lisa hängte sich als Nächste an, und ich machte den Schluss.
Es war Gruselhausen da unten. Der Motown-Song sagt weder etwas von den halb unsichtbaren Obdachlosen noch davon, wie sie sich ruck, zuck verkrümeln, als hätten sie vor etwas Angst, von dem nur sie wissen, dass es dort unten ist.
Aber trotz der Dunkelheit und der huschenden Schatten, und vor allem trotz der vielen Pfeiler, brachte Skinflick uns ziemlich schnell auf die andere Seite. Es war, als ob er sich auskannte. Damals dachte ich, er sei wegen Denises Hochzeit einfach so deprimiert, dass er sich den Teufel darum scherte, was aus ihm oder uns anderen wurde, aber als wir drüben ankamen - an einem senkrecht mit langen Plastikstreifen durchzogenen Maschendrahtzaun -, wusste er gleich, wo das lose Endstück war. Während Denise und Lisa noch den kalten Sand bemäkelten, stieß Skinflick die Zaunecke durch und hielt sie hoch. Denise ging als Erste, und plötzlich waren wir alle wieder zurück unter dem grellen Glanz des New Yorker Nachthimmels.
Wir standen auf Asphalt, hinter einem Gebäudekomplex, der wie eine Kreuzung aus Kraftwerk und Highschool aussah. Zwei, drei Stockwerke hohe Betonzylinder mit gedeckten Verbindungsgängen zu ebener Erde. Keine Fenster, nur Rohre kamen aus den Wänden. Man hörte ein Summen, und es roch seltsam faulig.
Ebenso seltsam war das Amphitheater, ein Stück weiter weg. Man konnte die unüberdachte Tribüne von unten sehen.
»Was ist das, eine Kläranlage?«, fragte ich. Ich wusste nicht mal, in welcher Richtung der Parkplatz lag.
»Weit gefehlt«, sagte Skinflick. Er ging schnurstracks auf das größte Gebäude zu. Denise und Lisa waren noch dabei, sich die Schuhe wieder anzuziehen, und stolperten schimpfend hinter ihm her.
Bis wir ihn einholten, stand Skinflick schon vor dem vorspringenden Eingang des Gebäudes. Und er hatte einen
Schlüssel.
Als er die Tür öffnete, traf uns ein Schwall warmer Luft wie ein Atemstoß. Sie roch nach Meer. Meerkonzentrat.
Im Strahl von Skinflicks Taschenlampe sahen wir einen Gang, der der Rundung der Außenwand folgte. Man kam sich vor wie im Innern eines U-Boots: frisch gestrichene blaue und zementgraue Metallrohre mit vielen Messuhren und Becken irgendwelcher Art. »Macht die Tür hinter euch zu«, sagte Skinflick im Hineingehen. Der Meeresgeruch war viel intensiver als am Strand.
Ich sagte: »Skinflick, sind wir im Aquarium?«
»Quasi«, sagte Skinflick. Er wartete darauf, dass ich die Tür schloss.
»Was heißt
quasP.«
»Es ist so was wie ein Hintereingang«, sagte er.
Der Gang endete, und wir hatten eine gelbe Metalltreppe vor uns, die an der Innenwand hochführte, bis sie im dunklen Rund des Gebäudes verschwand.
»Hier riecht es ekelhaft«, sagte Lisa.
»Ich finde, es riecht nach Möse«, sagte Denise. Sie war jetzt in Stimmung, genauso abgedreht und zugeknallt wie Skinflick. Sie nahm ihn bei der Hand und zog ihn die Stufen hinauf.
Es roch nicht nach Möse. Es roch wie der Eingang einer Höhle, in der ein Riese schlief.
»Ich finde das keine gute Idee«, sagte Lisa.
Denise sah auf sie runter und hob einen Finger an die Lippen. »Seht. Pietro kümmert sich schon um dich.« Zu mir gewandt, formte sie mit den Fingern ein V und spitzelte die Zunge durch. Dann kletterten sie und Skinflick klirrend außer Sicht, wenn wir auch noch den Schein der
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