Schneller als der Tod
Bevor er sich mit Blut füllt, sehen die Fettwände des Schnitts einen Moment lang wie Hüttenkäse aus. Ich gebe das Skalpell zurück. Es wird in der Operation nicht mehr verwendet werden. Skalpelle schneiden sauber, können aber keine Blutung stillen.
Friendly sagt: »Klemme.«
Ich sage: »Kauter und Saugrohr.«
Ein »Kauter« ist ein Elektrokauterisationsgerät in der Form eines Stifts mit Anschlussschnur und Metallblatt. Es sieht aus wie ein kleiner elektrischer Viehtreiber.
Ein Kauter schneidet nicht nur, sondern brennt auch, so dass er Blutgefäße im Weitergehen gleich verschließt. (Und er hinterlässt eine hässliche Spur verkokelten Fleisches, deswegen wird er nicht zum Hautaufschneiden benutzt.) Man saugt das Blut aus dem Schnitt, schaut, wo die Enden der zerschnittenen Arterie sind, und verschmort sie mit dem Kauter. Das muss schnell gehen, weil man nach dem Absaugen nur einen Sekundenbruchteil freie Sicht hat. Danach ist wieder alles voll Blut.
Ich gebe das Saugrohr meinem Studenten, bei dem es nicht so blöd aussieht, wenn er damit zu eifrig ist. Jedes Mal, wenn der Student das Blut absaugt, warte ich, bis die winzigen Blutströpfchen erscheinen, picke mir eins raus und versuche ihm einen Stromschlag zu versetzen, bevor es wieder lossprudelt.
Bei diesem Tempo wird die OP mehrere Tage dauern, und obendrein wechseln meine Wach- und Ohnmachtsphasen jetzt im Tausendstel-Sekunden-Takt, wie die Schwingungen eines Funksignals. Von meiner Stirn tropft Schweiß in Squillantes Einschnitt.
Schließlich wird es Friendly langweilig, und er fängt an, mit seiner »Klemme« herumzustochern, die wie eine Zange mit nadelspitzen Backen aussieht. Er greift nach für mich unsichtbaren Arterien, so dass ich mit dem Kauter nur noch vertrauensvoll das leitende Metall seines Geräts berühren muss, um die Gefäße zu grillen.
Als die Blutung gestillt ist, sticht Friendly in die klebrige Haut unten am Einschnitt, spreizt die Backen seiner Klemme und zerreißt die Haut. Dann zieht er mir die nächsten Gefäße zum Ausbrennen hervor.
Während er das tut, blickt Friendly den Instrumentierpfleger an, einen Schwarzen von Mitte zwanzig. »Ich darf also in diesem OP nicht >schwul< sagen«, sagt Friendly. »Dafür sind zu viele empfindliche Leute hier. Ich muss erst um Erlaubnis fragen. Mir war entfallen, dass der ganze Laden jetzt ja
kollaborativ
ist.«
Da der Instrumentierpfleger nicht reagiert, wendet sich Friendly an meinen Medizinstudenten. »Wissen Sie, was >kollaborative Medizin< bedeutet?«, sagt er.
»Nein, Sir«, sagt der Student.
»Es bedeutet zehn Stunden unbezahlten Scheiß die Woche zusätzlich. Freuen Sie sich drauf, Jungchen.«
»Ja, Sir«, sagt der Student.
Friendly wendet sich wieder dem Instrumentierpfleger zu. »Darf ich denn hier >schwarz< sagen? Oder muss ich das anders ausdrücken?« Er schweigt. »Wie steht's mit >die Künstler, die man früher Neger nannte<. Darf ich das sagen? Oder muss ich dafür auch erst um Erlaubnis bitten?«
Operationssäle, müssen Sie wissen, sind neben Baustellen die letzten Zufluchtsorte für Sexisten, Rassisten und andere Leute mit touretteverdächtigen Verhaltensweisen. Angeblich lernen sie beim Schikanieren ihrer Mitmenschen, unter Druck die Ruhe zu bewahren. Tatsächlich könnten Soziologen OPs studieren, um etwas über den typischen Arbeitsplatz der 1950er Jahre zu erfahren.
»Was meinen Sie, Scott?«, sagt Dr. Friendly zu dem Instrumentierpfleger.
Der Pfleger sieht ihn ungerührt an. »Sprechen Sie mit mir, Dr. Friendly?«
»Wenn, dann weiß ich selber nicht, warum«, sagt Friendly. Er wirft die blutige Klemme mitten in den Instrumentenkorb. »Okay. Machen wir auf.« Er steckt die Finger in den Einschnitt, beugt sich vor und zieht ihn auseinander, als wäre es ein riesengroßes Lederportemonnaie. Man sieht Squillantes dunkelrote Bauchmuskeln, mit einem weißen Streifen in der Mitte, an dem wir den nächsten Schnitt machen werden, weil dieser Streifen fast keine Blutzufuhr hat.
»Sister Mary Joseph negativ«, ruft Friendly der Springerin zu, die jetzt am Computer ist. »Auch kein Virchowknoten, aber das werden Sie mir einfach glauben müssen.«*
( Krebsgerede)
Ich gehe mit dem Kauter an dem weißen Streifen entlang.
»Halten Sie sich an die japanischen oder an die amerikanischen Lymphknoten-Richtlinien?«, fragt mein Medizinstudent.
»Das kommt drauf an«, sagt Friendly. »Sind wir in Japan?«
»Sir, worin besteht der Unterschied?«, fragt meine Studentin
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