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Schneller als der Tod

Schneller als der Tod

Titel: Schneller als der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josh Bazell
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zum Beispiel studiert habe, wart ihr doch alle draußen im Park und habt Gras geraucht und Marvin Gaye gehört beim Vögeln.«
    Diesmal binde ich die Schlinge behutsamer, und sie hält. Ich staune, wie schnell ich das Knotenschlingen wieder kann, zumal mein Unterarm allmählich meine Finger steif werden lässt. Aber etwas, das man lernt, indem man es zuerst an einem Schweinefuß, dann am Fuß eines toten Menschen und schließlich am Fuß eines lebenden Menschen macht, bleibt wahrscheinlich für immer im Gedächtnis.
    »Naht«, sagt Friendly. Der Instrumentierpfleger gibt Friendly ein Stück Faden, doch es verfängt sich in Friendlys Fingern, und Friendly schüttelt es verärgert ab und lässt es in Squillantes offenen Bauch fallen.
    »Wisst ihr, was ich hätte machen sollen?«, sagt Friendly. »Schlangenbeschwörer hätte ich werden sollen. Gleiche Arbeit, nur besser bezahlt. Stattdessen rette ich Leuten das Leben, die hoffen, dass sie in meinen Händen sterben, damit ich auf Teufel komm raus verklagt werden kann. Nur darum geht es allen: Sie wollen mit ihrem Bauern die Dame schlagen.«
    »Dr. Friendly?«, sagt der OP-Pfleger. »Ja?«, sagt Friendly.
    »Wer ist in diesem Szenario die Dame?« Wieder gibt es mundschutzverdecktes Gelächter.
    »Leck mich!«, sagt Friendly, greift sich das verknotete Fadenende und wirft es nach dem Gesicht des Pflegers. Es ist aber zu leicht, um bis dahin zu kommen, und fällt in einem Bogen zu Boden.
    Im ersten Moment merkt keiner von uns, dass der Kauter, den Friendly in der anderen Hand hielt, auf Squillantes Milz gefallen ist.
    Und nicht nur einfach drauf. Er ist drübergerutscht und hat sie dabei aufgeschlitzt. Vor unseren Augen perlt Blut aus dem Einschnitt, dann strömt es hervor.
    »Ach du Scheiße«, sagt Friendly und zieht den Kauter raus.
    Die Milz ist im Wesentlichen ein faustgroßer Beutel mit Blut, links vom Magen. Bei Seehunden, Walen und Rennpferden ist sie besonders groß und enthält Reserven an mit Sauerstoff angereichertem Blut. Beim Menschen baut sie hauptsächlich alte und geschädigte rote Blutkörperchen ab, und sie hat auch Stellen, wo Antikörper hinwandern und sich klonen können, wenn sie durch eine Infektion aktiviert werden. Man kann wunderbar ohne Milz leben, und viele Unfallopfer oder an Sichelzellenanämie Erkrankte tun das. Nur plötzlich zerreißen sollte sie nicht. Da zur Milz fast so viele Arterien führen wie zum Magen, kann Blutverlust dort schnell zum Tod führen.
    Friendly reißt den Kauter aus der Stromquelle, wirft ihn auf den Boden und ruft: »Klemmen brauche ich!«
    Der OP-Pfleger sagt ruhig: »Kauter hin«, und wirft eine Handvoll Klemmen in den Instrumentenkorb. Friendly schnappt sich ein paar und fängt an, die Ränder der Milzwunde zusammenzudrücken.
    Die Klemmen reißen sofort aus, und mit ihnen löst sich ein Großteil des Bauchfellüberzugs der Milz.
    Squillantes Blut ergießt sich in Strömen.
    »Was ist los?«, ruft der Anästhesist von der anderen Seite des Vorhangs. »Der Blutdruck ist zehn Punkte gefallen!«
    »Schnauze!«, sagt Friendly, als wir beide loslegen.
    Ich greife mir ein paar Klemmen und gehe auf Arterienjagd. Nur die größten, denn nur sie sind in dem sprudelnden Blut zu sehen.
    Friendly mault nicht, als ich die linke Magen-Netzarterie abklemme, die unter dem Magen auf die Milz zuläuft. Ich weiß nicht, ob er es überhaupt mitbekommt. Als ich aber an die Milzschlagader selbst will, die wie ein Hahn von der Aorta abzweigt, schlägt er meine Hand so weg, dass Squillante auf der Stelle hätte tot sein können.
    »Was machen Sie denn?«, schreit er.
    »Hämostase«, sage ich ihm.
    »Meine Arterien versauen, meinen Sie wohl!«
    Ich starre ihn an.
    Dann wird mir klar, dass er es tatsächlich für möglich hält, Squillantes Milz zu retten, statt sie abzubinden und herauszunehmen.
    Wenn er sie nämlich rettet, braucht er die Komplikation durch das Aufschlitzen nicht zu melden.
    Auf Squillantes Blutdruckmonitor ertönt der Alarm. »Bringt ihn unter Kontrolle!«, ruft der Anästhesist.
    Mit der Schulter voran, falls Friendly wieder wild wird, suche ich erneut die Milzschlagader, und diesmal gelingt es mir, sie zweieinhalb Zentimeter von der Aorta weg zu verschließen. Der Blutstrom aus der Milz verebbt zu einem schwachen, flächigen Ausfluss, und der Blutdruckalarm verstummt.
    »Nadel und Naht«, sagt Friendly leise.
    Friendly fängt an, Squillantes kaputte Milz zu einem hässlichen kleinen Klumpen zusammenzunähen.

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