Schneller als der Tod
Mittendrin reißt die Nadel los.
»Stacey!«, schreit Friendly. »Sag den Affenärschen, sie sollen vernünftige Naht machen, sonst geh ich zu Glaxo!«
»Ja, Doktor«, sagt Stacey, wie es scheint, aus weiter Ferne.
Die nächste Naht hält besser, oder Friendly reißt nicht so sehr daran oder was. »Kann ich jetzt mal eine Arterie wiederhaben?«, fragt er mich.
»Das hält nicht«, sage ich.
»HER MIT DER SCHEISS MILZSCHLAGADER.«
Ich löse die Griffe der Klemme, die die Milzarterie verschließt. Langsam bläht sich die Milz wieder auf.
Dann reißt sie zu beiden Seiten des vernähten Schnitts auf und verspritzt überallhin Blut. Als Friendly die Klemme in seiner Hand gegen die Wand wirft, verschließe ich die Milzschlagader neu.
»Klemme auf dem Fußboden«, sagt der Instrumentierpfleger beiläufig.
»Ich nehme die Milz raus«, sage ich.
»Scheiße, ich mach das«, sagt Friendly.
»Ich möchte Blut übertragen«, sagt der Anästhesist.
»Bitte sehr!«, schreit ihn Friendly an. »Schließen Sie ihn an, Constance.«
Constance öffnet eine Coleman-Kühlbox, auf der in nicht abwaschbarem Filzstift »Friendly« steht, und zieht zwei Beutel Blut hervor.
»Ist der Scheiß überprüft worden?«, fragt der Anästhesist.
»Tun Sie Ihre Arbeit«, sagt ihm Friendly.
Gemeinsam entfernen Friendly und ich Squillantes Milz. Es dauert etwa anderthalb Stunden. Dann lässt Friendly sie von meiner Medizinstudentin runter in die Pathologie schaffen, damit er später behaupten kann, er habe sie wegen Krebsverdacht mit Absicht rausgenommen. Ich muss zugeben, kein übler Schachzug.
Die anschließende Entfernung des Magens ist eine langwierige, aber geistlose Angelegenheit. Die meisten Arterien in Squillantes Bauch haben wir schon abgeknipst. Da kann nichts mehr bluten. Er hat Glück, dass seine Leber und sein Darm noch mit Blut versorgt werden.
Die Speiseröhre neu mit dem Darm zu verbinden ist kniffliger - wie wenn man zwei Stücke gekochten Fisch zusammennäht. Aber auch damit werden wir irgendwann fertig.
»Machen Sie ihn zu«, sagt Friendly zu mir. »Ich geh den OP-Bericht schreiben.«
Das Zumachen wird mindestens eine weitere Stunde dauern, und ich war im Leben noch nicht so müde. Außerdem verkrampfen sich die Finger meiner rechten Hand derart, dass sie kaum noch zu gebrauchen sind.
Aber ich mache Squillante lieber alleine zu als mit Friendly. Es gibt so viele Schichten im menschlichen Körper, dass selbst ein guter Chirurg die eine oder andere beim Zusammennähen auslassen wird, wenn er mit der OP spät dran ist. Solange die am nächsten zur Oberfläche gelegenen Schichten vernäht werden, merkt der Patient keinen Unterschied. Nur die Wahrscheinlichkeit, dass sie aufreißen, ist größer.
Und ich möchte jedenfalls, dass Squillante so gut wie möglich zusammengeflickt wird. Passgenau und dicht soll das sein wie ein Taucheranzug.
Als ich schließlich aus dem Operationssaal stolpere, steht Friendly auf dem Gang, trinkt eine Cola light und streichelt den Hintern einer verängstigten Krankenschwester.
»Denk dran, Jungchen: Immer den Kitzel suchen«, sagt er zu mir.
Ich weiß nicht mal genau, ob ich wach bin. Die letzte halbe Stunde habe ich überstanden, indem ich mir gelobt habe, mich hinzulegen, sobald ich kann. Vielleicht liege ich also schon und träume gerade.
»Sie haben doch ein Rad ab«, sage ich.
»Umso besser, dass wir in keiner Demokratie leben. Wir leben in einer Arschkriechokratie. Und ich bin der King.«
Den letzten Teil sagt er zu der Schwester. Mir ist es gleich.
Ich wanke schon an ihm vorbei den Gang hinunter.
Ich wache auf. Eine Alarmanlage schrillt wie ein Truck im Rückwärtsgang. Und Stimmen tönen durcheinander.
Ich bin in einem Klinikbett. Ich habe keine Ahnung, warum und wo. Sämtlich Wände außer der hinter mir sind Vorhänge.
Dann gehen mein Pieper und der Wecker meiner Armbanduhr gleichzeitig los, und ich erinnere mich: Ich hatte mich für zwanzig Minuten hingelegt. Im Aufwachraum. Im Bett neben dem von Squillante.
Ich springe auf und schlage den Vorhang zwischen seinem und meinem Bett beiseite
Er ist von Leuten umringt. Schwestern und Ärzten, aber auch einer Schar Zivilisten am Fuß des Bettes. Streitbare Angehörige, schätze ich, die sehen wollten, wie alles gelaufen ist. Der Geräuschpegel ist unglaublich.
Weil Squillante Herzalarm auslöst.
Vor meinen Augen verschwinden die Zacken auf dem EKG und ein weiterer Alarm wird ausgelöst, weil das EKG zum Strich wird. Die
Weitere Kostenlose Bücher