Schneller als der Tod
Knäste der höchsten Sicherheitsstufe und zugleich die beiden schlimmsten Gefängnisse im Land sind und doch einander völlig entgegengesetzt. In Leavenworth stehen die Zellentüren sechzehn Stunden täglich offen, und die Häftlinge dürfen miteinander »verkehren«. Besonders in den Sommermonaten nimmt der Verkehr offenbar barocke Ausmaße an, weil die Gefängnisleitung dann in den oberen Stockwerken das Licht auslässt. Das geht nicht anders, weil es in Leavenworth so heiß wird, dass die Gefangenen, wenn man Licht macht, die Lampen zerschlagen, damit nicht noch mehr Hitze entsteht.
Der Stil in Marion ist ein ganz anderer. Man befindet sich in »Ad Seg«, kurz für »Administrative Segregation«, das bedeutet Einzelhaft in einer winzigen weißen Zelle, mit diffusem Neonlicht von oben, das nie ausgeht und den einzigen Blickfang darstellt. Dreiundzwanzig Stunden des Tages verbringt man dort, die restliche Stunde verbringt man mit Duschen, Rausgehen zu einem Solo-Powerwalk auf vier Metern und dem An- und Ablegen der Fußeisen, das bei allem, was man tut, dazugehört. In der Zelle fühlt man sich bald, als ob man in einer neonweißen Leere schwebt, außer der es eigentlich nichts gibt.
Wenn Leavenworth Feuer ist, ist Marion Eis. Das eine ist die Hobbes'sche, das andere die Bentham'sche Hölle. Die Penner, mit denen ich in U-Haft saß, meinten, Leavenworth sei vorzuziehen, weil man in Marion unweigerlich verrückt würde. Und sie meinten, gerade für mich als Mobster sei das freizügige Leavenworth ideal, denn mir würde man dort mit
Respekt
begegnen. Wenigstens solange ich mich wehren konnte.
»Respekt« ist übrigens das dritte Wort, das die Leute in der U-Haft ständig im Mund führen. So in:
»Willst du einen Krieg anzetteln, Mann? Es zeugt nicht von Respekt, wenn du die kleine Schwuppe da Carlos nennst! Nenn sie
Rosalita,
Mann. Sonst zeugt das nicht von Respekt vor den Straftätern im Block, die richtige Männer sind!«
Das hat ein Wärter tatsächlich mal zu mir gesagt.
Nach allem, was ich hörte, war mir Marion lieber. Aber ich machte mir nicht groß Gedanken darüber, denn vor die Entscheidung, ob man den Rest seines Lebens in Marion oder Leavenworth verbringen möchte, wird man nicht gestellt. Und sonderbarerweise auch sonst niemand. Es entscheidet sich nach dem Zufallsprinzip - wo gerade Betten frei sind.*
( Ein Klugscheißer in Brooklyn hat mir erzählt, dass man sich für Leavenworth entscheiden kann, indem man dort ein Bett »räumen«, d. h. jemanden umbringen lässt. Das halte ich für Quatsch.)
Und ich wollte sowieso beiden Örtlichkeiten aus dem Weg gehen. Ob ich dafür singen musste oder sonst was.
Ich war bereit, dem FBI alles zu erzählen, was ich über den Mob im Allgemeinen und David Locano im Besonderen wusste. Klar hatte ich Skinflick einmal wie einen Bruder geliebt. Seine Eltern hatten mir näher gestanden als meine eigenen. Aber Magdalena liebte ich so sehr, dass ich die Locanos und alles um mich herum auf der Stelle verkauft hätte, um eine Stunde irgendwo mit ihr allein zu sein.
Ich wusste nur nicht, wie lange ich warten sollte. Wenn ich am Ende freigesprochen wurde, wäre es verrückt, mich unnötig mit dem Mob anzulegen. Wartete ich aber zu lange und wurde überführt, wäre es wesentlich schwieriger, eine Absprache zu treffen.
Locanos Leute waren zu schlau, um Magdalena - oder mir -direkt zu drohen, denn sie wussten, dass ich dann nur noch überlegen würde, wie ich ihnen weh tun könnte. Aber sie brauchten nicht viel zu reden. Ich war eingesperrt, und sie waren draußen, bei ihr. Diejenigen, die mich besuchten, redeten ununterbrochen von ihr:
»Der Fall is Kiki. Scheiß is das. Du bis bald wieder bei deim Mädel. Wie heiß die? Magdalena? Hübscher Name. Super Mädel. Bis im Nu wieder bei ihr. Wir schicken ihr was.«
Magdalena selbst besuchte mich viermal die Woche.
Das Besuchsrecht wird in der U-Haft lockerer gehandhabt als sonst - man ist ja doch
unschuldig!
- und in Bundesgefängnissen offenbar lockerer als in Staatsgefängnissen. Man darf sich zwar nicht anfassen, aber man darf an einem langen Metalltisch ohne Trennwand einander gegenübersitzen, solange der Gefangene die Hände sichtbar auf der Tischplatte lässt. Die Besucherin darf die Hände halten, wie sie will, an sich herumspielen, während man sich unterhält, und nach ein paar Wochen denkt man gar nicht mehr an die Wärter, wenn das geschieht. Und wenn Besuchter und Besucherin schnell sind, können sie
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