Schneller als der Tod
Mein Knie stieß gegen etwas Glitschiges, das zunächst wie ein mit Wasser gefüllter Lederschlauch nachgab, dann zum Leben erwachte und nach mir ausschlug.
Mit einem Glücksgriff erwischte ich Magdalenas Haare. Irgendwas klatschte mir an den Hals. Ich packte ein Stück Gewebeband und strampelte an die Oberfläche. Schnappte nach Luft und bekam Wasser, verschluckte mich und brachte endlich den Kopf raus. Immer wieder stieß ich mit den Füßen an. Einmal trat ich gegen etwas, das sich wie ein glitschiger Felsbrocken anfühlte - so fest, dass ich mir beinah den Knöchel verstauchte.
Bloß hatte ich keine Zeit, darüber nachzudenken. Ich fand Rovos Kopf nicht. Schließlich kam ich auf den Trichter und drehte ihn getrennt von Magdalena, und beide schnaubten schrecklich durch die Nase. Ich ging wieder runter und stieß sie hoch. Etwas traf mich hart in den Bauch. Ich brauchte Halt. Gab es hier eine flache Seite, und wenn ja, wie fand ich sie?
Als ich erneut auftauchte, wurde von der Galerie aus geschossen. Darauf kam es gar nicht mehr so an. Die Knarre und die Taschenlampe hatte ich längst fallen lassen. Was ich brauchte, war eine Möglichkeit, uns über Wasser zu halten.
Etwas knallte mir ins Kreuz und trieb uns gegen eine Wand. Ich kickte uns dahin, wo zwei Wände des sechseckigen Beckens aneinanderstießen, und versuchte die Reibung des Glases zu nutzen, um Magdalena und Rovo so dazwischen einzukeilen, dass sie die Köpfe über Wasser hatten. Ich trat und strampelte, um die Haie fernzuhalten. Bei der ersten Gelegenheit langte ich hoch und riss Magdalena und Rovo das Klebeband von den Mündern.
Magdalena rang sofort nach Luft. Rovo musste ich erst auf die Brust klopfen. Jedes Mal, wenn ich aufhörte, mit aller Kraft um mich zu treten, streifte etwas an meinen Beinen entlang. Rovo und Magdalena keuchten und fingen an zu hyperventilieren. »Luft holen!«, rief ich.
Die Wellen legten sich, obwohl das Anstoßen von unten weiterging. Ich war mir nicht sicher, warum die Haie noch nicht angegriffen hatten, doch da sie aggressiver wurden, wenn meine Aufmerksamkeit nachließ, sah es aus, als tasteten sie mich ab.
Und die Schüsse hatten vielleicht das Ihrige getan. Über uns auf der Galerie hörte ich jemanden stöhnen.
Lange danach rief Skinflick von woandersher: »Pietro?«
Ich überlegte, ob ich antworten sollte. Er konnte uns mit ziemlicher Sicherheit nicht sehen. Ich sah ihn jedenfalls nicht, nur schwaches Licht, das über mir durch den Gittersteg fiel, und ein Stückchen von einem Oberlicht, wenn ich den Kopf drehte. Es konnte also sein, dass Skinflick nicht wusste, ob wir noch lebten, und uns akustisch zu orten versuchte. Ich strampelte ganz schön, aber das hätten die Haie sein können.
Genau wusste ich nur eins: Es war dumm gewesen, ihn da oben nicht umzubringen. Er und niemand anders hatte das hier angezettelt.
Aber er war auch unsere einzige Chance. So aussichtslos und sosehr es mir zuwider war, ich musste versuchen, ihn umzustimmen.
»Skinflick!«, sagte ich. Meine Stimme kam mir heiser und schwach vor.
»Wie fühlst du dich?«, sagte er. Seine Stimme hallte im Rund. So ließ sich wenigstens nichts genau lokalisieren. »Verdammt, was hast du vor?«, sagte ich.
»Dich umzubringen.« »Warum?«
»Mein Dad hat rausbekommen, dass du Kurt Limme umgebracht hast.«
»Das ist Blödsinn! Dein Dad hat Kurt Limme umgebracht. Oder ihn von einem Russen umbringen lassen.«
»Das glaube ich nicht.«
»Warum hätte ich das tun sollen? Was ging der mich an? Hol uns hier raus!«
»Dafür ist es ein bisschen zu spät«, sagte er.
»Wofür? Du weißt, dass ich dir die Wahrheit sage!«
»Du würdest die Wahrheit doch nicht mal erkennen, wenn sie dich in den Arsch beißt. Und ich glaube, das tut sie gleich.«
»Skinflick!«, rief ich.
Er war ein paar Augenblicke still. Dann sagte er: »Weißt du, warum mein Dad die Virzis beauftragt hat, deine Großeltern zu killen?«
»Was?«, sagte ich.
»Du hast schon verstanden. Weißt du, warum?« »Nein! Und es ist mir auch egal!«
War es tatsächlich. Ich wusste nicht, ob es stimmte, wenn ja, wusste ich nicht, was es zu bedeuten hatte, und ich wollte Skinflick nicht davon quasseln hören.
»Er hat ein paar russischen Juden damit einen Gefallen getan«, sagte er. »Deine Großeltern waren in Wirklichkeit gar nicht die Brnwas. Sie waren Polen. Sie hatten als Teenager in Auschwitz gearbeitet.«
Seine Stimme verschwand zwischendurch, wenn das Wasser über meine Ohren
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