Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
die Fähigkeit, die Geschäftsaussichten eines Unternehmens sachgerecht zu beurteilen, nicht ausreichend für erfolgreiche Aktiengeschäfte, bei denen die Schlüsselfrage lautet, ob alle relevanten Informationen über eine Unternehmung bereits in dem Kurs ihrer Aktie berücksichtigt wurden. Wertpapierhändlern fehlt offenbar die Fähigkeit, diese entscheidende Frage zu beantworten, aber sie scheinen ihre Unwissenheit zu ignorieren. So, wie ich es bei mir selbst bemerkt hatte, als ich Kadetten auf dem Hindernisfeld beobachtete, ist subjektives Überzeugtsein ein Gefühl, kein Urteil – das gilt auch für Händler. Unser Verständnis kognitiver Leichtigkeit und assoziativer Kohärenz verortet dieses Gefühl der subjektiven Überzeugung fest in System 1.
Schließlich werden die Illusionen der Gültigkeit und Kompetenz von einer mächtigen Berufskultur gestützt. Wir wissen, dass Menschen von einem unerschütterlichen Glauben an eine Überzeugung, und sei sie noch so absurd, erfüllt sein können, wenn sie darin von einer Gruppe Gleichgesinnter bestärkt werden. Angesichts der Berufskultur im Finanzdienstleistungssektor ist es nicht verwunderlich, dass sehr viele Personen in diesem Sektor sich zu den wenigen Auserwählten zählen, die ihres Erachtens etwas können, was andere nicht können.
Die Illusionen von Experten
Die Annahme, die Zukunft lasse sich nicht vorhersagen, wird Tag für Tag durch die Leichtigkeit untergraben, mit der die Vergangenheit erklärt wird. Wie Nassim Taleb in Der Schwarze Schwan ausführt, fällt es uns deshalb schwer, die Grenzen unserer Vorhersagefähigkeit anzuerkennen, weil wir dazu neigen,
kohärente Erzählungen über vergangene Ereignisse zu konstruieren und daran zu glauben. Im Rückblick ergibt alles einen Sinn, eine Tatsache, die Finanzexperten jeden Abend ausnutzen, wenn sie überzeugende Erklärungen für die Ereignisse des Tages liefern. Und wir können nicht die mächtige Intuition unterdrücken, dass das, was heute im Rückblick einen Sinn zu ergeben scheint, gestern vorhersagbar war. Die Illusion, wir verstünden die Vergangenheit, fördert die Überschätzung unserer Fähigkeit, die Zukunft vorherzusagen.
Das oft verwendete Bild vom »Marsch der Geschichte« legt Ordnung und eine eindeutige Richtung nahe. Anders als ein Bummel oder ein Spaziergang führen Märsche nicht »ins Blaue hinein«. Wir glauben, dass wir die Vergangenheit dadurch erklären können, dass wir uns entweder auf soziale Massenbewegungen und kulturelle sowie technologische Entwicklungen oder auf die Absichten und Fähigkeiten einiger weniger bedeutender Männer konzentrieren. Die These, dass sich bedeutende historische Ereignisse rein dem Zufall verdanken, ist zutiefst erschütternd, aber sie ist nachweislich wahr. Es ist schwer, die Geschichte des 20. Jahrhunderts einschließlich seiner sozialen Massenbewegungen zu verstehen, ohne auf die Rolle von Hitler, Stalin und Mao Tsetung einzugehen. Aber es gab einen bestimmten Zeitpunkt, unmittelbar vor der Befruchtung eines Eies, als eine 50-prozentige Chance bestand, dass der Embryo, der zu Hitler wurde, ein weibliches Geschlecht erhält. Nimmt man die drei Ereignisse zusammen, bestand eine Wahrscheinlichkeit von 1:8 eines 20. Jahrhunderts ohne irgendeinen der drei Erzschurken, und es lässt sich unmöglich behaupten, dass die Geschichte ohne sie annähernd den gleichen Verlauf genommen hätte. Die Befruchtung dieser drei Eier hatte weitreichende Folgen, und sie führt die Annahme, langfristige Entwicklungen seien vorhersagbar, ad absurdum.
Trotzdem hält sich die Illusion gültiger Vorhersagen, was von Menschen ausgenutzt wird, deren Geschäft Prognosen sind – nicht nur Finanzexperten, sondern auch andere Fachleute in Wirtschaft und Politik. Fernseh- und Rundfunksender sowie Zeitungen haben ihre Expertengremien, deren Aufgabe es ist, die jüngsten Ereignisse zu kommentieren und die Zukunft vorherzusagen. Zuschauer und Leser haben den Eindruck, dass sie Informationen erhalten, die irgendwie privilegiert oder zumindest äußerst aufschlussreich sind. Und es besteht kein Zweifel daran, dass die Experten und ihre Förderer ernsthaft glauben, solche Informationen zu liefern. Der Psychologe Philip Tetlock von der Universität von Pennsylvania erklärte diese sogenannten Expertenprognosen in einer bahnbrechenden Studie, die er in seinem 2005 erschienenen Buch Expert
Political Judgment: How Good Is It? veröffentlichte. Tetlock hat den Standard für jede
Weitere Kostenlose Bücher