Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
für einen allgemeineren Above-Average-Effekt (die Tendenz, sich selbst eine überdurchschnittliche Leistungsfähigkeit zuzuschreiben) betrachtet. Doch die Interpretation dieses Befundes hat sich in den letzten Jahren gewandelt, von einer Selbstwerterhöhung zu einer kognitiven Verzerrung. 14 Betrachten Sie diese beiden Fragen:
Sind Sie ein guter Fahrer?
Sind Sie ein überdurchschnittlich guter Fahrer?
Die erste Frage ist einfach, und die Antwort erfolgt schnell: Die meisten Fahrer sagen Ja. Die zweite Frage ist viel schwieriger, und für die meisten Befragten ist es beinahe unmöglich, sie richtig zu beantworten, weil sie eine Beurteilung der durchschnittlichen Qualität von Fahrern erfordert. An dieser Stelle des Buches überrascht es uns nicht mehr, dass Menschen eine schwierige Frage dadurch beantworten, dass sie eine leichtere lösen. Sie vergleichen sich mit dem Durchschnitt, ohne jemals über den Durchschnitt nachzudenken. Der Beleg für die kognitive Interpretation des Above-Average-Effekts besteht darin, dass Menschen, wenn sie zu einer Aufgabe befragt werden, die ihnen schwierig erscheint (für viele von uns zum Beispiel: »Sind Sie überdurchschnittlich gut, wenn es darum geht, Gespräche mit Fremden anzuknüpfen?«), sich schnell als unterdurchschnittlich einstufen. Dies führt letzten Endes dazu, dass Menschen ihre relative Leistungsfähigkeit in jeder Aktivität, in der sie einigermaßen gut sind, übermäßig optimistisch einschätzen.
Ich hatte mehrfach Gelegenheit, Firmengründern und Teilhabern innovativer Start-ups eine Frage zu stellen: In welchem Ausmaß hängt das Ergebnis Ihrer Bemühungen davon ab, was Sie in Ihrem Unternehmen tun? Dies ist offensichtlich eine leichte Frage; die Antwort kommt schnell, und in meiner kleinen Stichprobe lag sie nie unter 80 Prozent. Selbst wenn sie nicht sicher sind, ob sie erfolgreich sein werden, glauben diese wagemutigen Personen, ihr Schicksal liege fast zur Gänze in ihrer Hand. Sie irren sich zweifellos: Der Erfolg eines Start-up-Unternehmens hängt ebenso sehr von den Leistungen ihrer Wettbewerber und von Marktentwicklungen wie von ihren eigenen Anstrengungen ab. Doch auch die WYSIATI-Regel spielt eine Rolle, und Unternehmer konzentrieren sich automatisch auf das, was sie am besten wissen – ihre Pläne und
Handlungen und die unmittelbarsten Bedrohungen und Chancen, wie etwa die Verfügbarkeit von Kapital. Sie wissen weniger über ihre Konkurrenten, und sie stellen sich daher ganz selbstverständlich eine Zukunft vor, in der die Konkurrenten keine große Rolle spielen.
Colin Camerer und Dan Lovallo, die den Begriff der »Konkurrenzvernachlässigung« prägten, verdeutlichten dies mit einem Zitat des damaligen Chefs der Disney Studios. Danach gefragt, weshalb so viele aufwendige Filme mit großem Budget am selben Tag (wie etwa Memorial Day und Independence Day ) in die Kinos kommen, antwortete er:
Vermessenheit. Vermessenheit. Wenn man nur über sein eigenes Unternehmen nachdenkt, sagt man sich: »Ich hab eine gute Story-Abteilung, ich hab eine gute Marketing-Abteilung, wir bringen das jetzt raus.« Und man macht sich nicht klar, dass alle anderen genauso denken. An einem bestimmten Wochenende in einem Jahr laufen fünf Filme an, und da sind bestimmt nicht genügend Leute unterwegs, um die Kinos vollzukriegen.
Die freimütige Antwort verweist auf Vermessenheit, aber sie verrät keinen Überlegenheitsdünkel gegenüber konkurrierenden Studios. Die Wettbewerber gehen einfach nicht mit in die Entscheidung ein, bei der einmal mehr eine schwierige Frage durch eine leichte ersetzt wurde. Die zu beantwortende Frage lautet: Wie viele Menschen werden sich unseren Film ansehen, unter Berücksichtigung dessen, was unsere Konkurrenten tun? Die Frage, die sich das Management des Studios stattdessen stellte, ist einfacher und bezieht sich auf Informationen, die ihm unmittelbar zugänglich ist: Haben wir einen guten Film und eine gute Vermarktungsorganisation? Die vertrauten System-1-Prozesse der eingeschränkten Informationsverarbeitung (WYSIATI) und der Ersetzung führen sowohl zur Vernachlässigung der Konkurrenz als auch zum Above-Average-Effekt. Die Folge der Konkurrenzvernachlässigung ist ein überhöhter Markteintritt: Mehr Wettbewerber treten in den Markt ein, als sich langfristig profitabel darin behaupten können, sodass sie im Schnitt einen Verlust einfahren. 15 Dieses Ergebnis ist für den typischen neuen Wettbewerber am Markt enttäuschend, aber der
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