Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
eine Bestrahlung vorzogen). Die logische Äquivalenz der beiden Beschreibungen ist offensichtlich, und ein realitätsgebundener Entscheider würde unabhängig von der ihm dargebotenen Version immer die gleiche Wahl treffen. Aber System 1, wie wir es kennen, ist nur selten unempfänglich für emotional aufgeladene Wörter: Sterblichkeit ist schlecht, Überleben ist gut, und eine Überlebensrate von 90 Prozent hört sich ermutigend an, während eine Sterblichkeitsrate von 10 Prozent erschreckend klingt. 3 Ein wichtiger Befund der Studie war, dass Ärzte genauso anfällig für den Framing-Effekt waren wie medizinisch ungebildete Laien (Klinikpatienten und Studenten der Betriebswirtschaftslehre). Ein Medizinstudium ist offensichtlich kein Schutz gegen die Macht des Framings.
Die »Behalten-Verlieren«-Studie und das Überleben-Sterblichkeit-Experiment unterschieden sich in einem wichtigen Punkt. Die Teilnehmer an der Neuroimaging-Studie absolvierten zahlreiche Testdurchgänge, in denen ihnen verschiedene Frames dargeboten wurden. Sie hatten Gelegenheit, die ablenkenden Effekte der Frames zu erkennen und sich ihre Aufgabe dadurch zu vereinfachen, dass sie sich einen gemeinsamen Frame zu eigen machen, etwa indem sie den »Verlieren«-Betrag in seine »Behalten«-Entsprechung übersetzen. Nur ein intelligenter Mensch (mit einem wachsamen System 2) kann dies lernen, und die wenigen Teilnehmer, denen dieses Kunststück gelang, gehörten vermutlich zu den »rationalen« Akteuren, die von den Experimentatoren identifiziert wurden. Dagegen hatten die Ärzte, die die statistischen Angaben über die beiden Therapien im Überlebens-Frame lasen, keinen Grund zur Annahme, dass sie eine andere Wahl getroffen hätten, wenn sie die gleichen statistischen Daten im Sterblichkeits-Frame gehört hätten. Das »Reframing« ist anstrengend, und System 2 ist normalerweise faul. Sofern es keinen naheliegenden Grund dafür gibt, sich anders zu verhalten, nehmen die meisten von uns Entscheidungsprobleme passiv so hin, wie sie »eingerahmt« sind, und sie haben daher nur selten Gelegenheit, das Ausmaß zu entdecken, in dem unsere Präferenzen framegebunden und nicht realitätsgebunden sind.
Leere Intuitionen
Amos und ich begannen unsere Diskussion des Framings mit einem Beispiel, das unter dem Namen »Problem der Asiatischen Krankheit« bekannt wurde: 4
Stellen Sie sich vor, die Vereinigten Staaten bereiten sich auf den Ausbruch einer ungewöhnlichen asiatischen Krankheit vor, die schätzungsweise 600 Menschenleben fordern wird. Zwei alternative Programme zur Bekämpfung der Krankheit wurden vorgeschlagen. Angenommen, die exakten wissenschaftlichen Schätzungen der Folgen der Programme lauten folgendermaßen:
Programm A1 wird 200 Menschenleben retten.
Bei Programm B2 werden mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 3 600 Menschenleben gerettet; mit einer Wahrscheinlichkeit von 2 : 3 wird kein Menschenleben gerettet.
Die große Mehrzahl der Befragten wählten Programm A1: Sie ziehen die sichere Option der Lotterie vor.
Die Erfolge des Programms werden in einer zweiten Version anders formuliert:
Bei Programm A2 werden 400 Menschen sterben.
Bei Programm B2 besteht eine Wahrscheinlichkeit von 1 : 3, dass niemand stirbt, und eine Wahrscheinlichkeit von 2 : 3, dass 600 Menschen sterben.
Schauen Sie genau hin und vergleichen Sie die beiden Versionen: Die Folgen der Programme A1 und A2 sind identisch, ebenso die Folgen der Programme B1 und B2. Doch beim zweiten Frame entschied sich eine große Mehrheit für das Glücksspiel.
Die verschiedenen Wahlen in den beiden Frames entsprechen der Neuen Erwartungstheorie, bei der Wahlen zwischen Lotterien und sicheren Optionen unterschiedlich gelöst werden, je nachdem, ob die Ergebnisse gut oder schlecht sind. Entscheider ziehen tendenziell die sichere Option der Lotterie vor (sie
sind risikoscheu), wenn die Ergebnisse positiv sind. Sie verwerfen für gewöhnlich die sichere Option und akzeptieren das Glücksspiel (sie sind risikofreudig), wenn beide Ergebnisse negativ sind. Diese Schlussfolgerungen waren für Entscheidungen zwischen Lotterien und sicheren Ergebnissen, bei denen es um Geld ging, gut abgesichert. Das Krankheitsproblem zeigt, dass dieselbe Regel gilt, wenn die Ergebnisse in geretteten oder verlorenen Menschenleben gemessen werden. Auch in diesem Kontext enthüllt das Framing-Experiment, dass risikoscheue und risikofreudige Präferenzen nicht realitätsgebunden sind. Präferenzen
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