Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
der Verhaltensökonomik wurde. 5 Ihr Buch führte mehrere neue Wörter in die Alltagssprache ein, darunter auch Econs und Humans. Es präsentierte auch eine Reihe von Lösungen für das Dilemma, wie man Menschen helfen kann, gute Entscheidungen zu treffen, ohne ihre Freiheit einzuschränken. Thaler und Sunstein vertreten eine Position
des libertären Paternalismus, wonach es dem Staat und anderen Institutionen erlaubt ist, Bürger zu solchen Entscheidungen anzustoßen , die ihren eigenen langfristigen Interessen dienlich sind. Ein Beispiel für einen solchen Anstoß ist es, wenn die Teilnahme an einer zusätzlichen privaten Altersvorsorge als Standardoption festgelegt wird. Es lässt sich nur schwer behaupten, dass die persönliche Freiheit dadurch geschmälert wird, dass man automatisch in einen Plan zur Altersvorsorge aufgenommen wird, wenn man nur ein Kästchen ankreuzen muss, um nicht daran teilzunehmen. Wie wir früher sahen, wirkt sich das Framing der individuellen Entscheidung – Thaler und Sunstein nennen es »Entscheidungsarchitektur« – in erheblichem Maße auf das Ergebnis aus. Der Entscheidungsanstoß basiert auf soliden psychologischen Grundlagen, die ich weiter vorn beschrieben habe. Die Standardoption wird selbstverständlich als die normale Entscheidung betrachtet. Die Abweichung von der normalen Alternative ist ein aktives Handeln, das anstrengenderes Nachdenken erfordert, mit mehr Verantwortung verbunden ist und eher Reue hervorrufen wird, als nichts zu tun. Dies sind mächtige Kräfte, die die Entscheidung von jemandem anleiten können, der ansonsten unsicher ist, was er tun soll.
Mehr als Econs brauchen Humans auch Schutz vor anderen, die gezielt ihre Schwächen ausnutzen – insbesondere die Eigenarten von System 1 und die Trägheit von System 2. Bei rationalen Agenten wird davon ausgegangen, dass sie wichtige Entscheidungen nach reiflicher Überlegung treffen und alle Informationen nutzen, die ihnen zur Verfügung gestellt werden. Ein Econ liest und versteht das Kleingedruckte eines Vertrages, eher er diesen unterzeichnet, während Humans dies für gewöhnlich nicht tun. Eine skrupellose Firma, die Verträge entwirft, welche Kunden ohne gründliches Durchlesen routinemäßig unterzeichnen, hat erheblichen rechtlichen Gestaltungsspielraum, wichtige Informationen vor aller Augen zu verbergen. Eine schädliche Folge des Modells vom rationalen Agenten in seiner Extremform ist die Annahme, Kunden bräuchten keinen Schutz, sofern sichergestellt sei, dass alle relevanten Informationen offengelegt würden. Die Größe der Schrift und die Komplexität der Sprache bei der Offenlegung gelten nicht als relevant – ein Econ weiß, wie er mit dem Kleingedruckten klarkommt, wenn es von Belang ist. Dagegen verlangen die Empfehlungen in dem Buch Nudge von Firmen, Verträge anzubieten, die von Humans einigermaßen leicht zu lesen und zu verstehen sind. Es ist ein gutes Zeichen, dass einige dieser Empfehlungen auf den entschiedenen Widerstand von Firmen gestoßen sind, deren Gewinne vielleicht geschmälert würden, wenn ihre Kunden besser informiert wären. Eine Welt, in der Firmen miteinander
konkurrieren, indem sie bessere Produkte anbieten, ist einer Welt vorzuziehen, in der jene Firma die höchsten Gewinne macht, die sich am besten auf Verschleierung versteht.
Ein bemerkenswertes Merkmal des libertären Paternalismus ist die Anziehungskraft, die er auf ein breites politisches Spektrum ausübt. Das Paradebeispiel einer verhaltensökonomischen gesetzlichen Maßnahme, der sogenannte »Save More Tomorrow«-Plan, wurde im US-Kongress von einer ungewöhnlichen Koalition getragen, der extreme Konservative genauso angehörten wie Linke. Der »Save More Tomorrow«-Plan dient dem Vermögensaufbau, und Firmen können ihn ihren Mitarbeitern anbieten. Diejenigen, die daran teilnehmen, erlauben ihrem Arbeitgeber, jedes Mal, wenn sie eine Lohn- oder Gehaltserhöhung bekommen, ihren Beitrag zu ihrem Sparplan um einen festen Prozentsatz zu erhöhen. Die Erhöhung der Sparquote erfolgt automatisch, bis der Beschäftigte mitteilt, dass er in Zukunft darauf verzichten will. Diese brillante Innovation, die 2003 von Richard Thaler und Shlomo Benartzi vorgeschlagen wurde, hat mittlerweile die Sparquote und die zukünftige finanzielle Absicherung von Millionen von Arbeitnehmern verbessert. Sie basiert auf den psychologischen Prinzipien, die den Lesern dieses Buches mittlerweile vertraut sind. Sie vermeidet den Widerstand
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