Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
sich mit ihrem erinnernden Selbst identifizieren und ihre Geschichte wichtig nehmen. Eine Theorie des Wohlbefindens, die die Wünsche von Menschen ignoriert, ist nicht haltbar. Andererseits ist eine Theorie, die ignoriert, was tatsächlich im Leben von Menschen passiert, und sich ausschließlich auf das konzentriert, was sie über ihr Leben denken, ebenfalls nicht haltbar. Sowohl das erinnernde Selbst als auch das erlebende Selbst müssen berücksichtigt werden, weil ihre Interessen nicht immer deckungsgleich sind. Philosophen könnten sich sehr lange mit diesen Fragen abmühen.
Die Frage, welches der beiden Selbste wichtiger ist, ist nicht nur eine Frage für Philosophen; sie hat Konsequenzen für mehrere Politikfelder, insbesondere für die Gesundheits- und die Sozialpolitik. Betrachten wir die Gelder, die für die Behandlung verschiedener Krankheiten wie Blindheit, Taubheit oder Nierenversagen ausgegeben werden sollten. Sollten die Investitionen davon abhängen, wie viele Menschen diese Erkrankungen fürchten? Sollten sich die Investitionen an dem tatsächlichen Leid der Patienten orientieren? Oder sollten sie der Stärke des Wunsches der Patienten folgen, Linderung von ihrem Leid zu
erfahren, und der Opfer, die sie zu bringen bereit wären, um diese Linderung zu erreichen? Die Rangfolge von Blindheit und Taubheit oder von Kolostomie und Dialyse könnte unterschiedlich ausfallen, je nachdem, welches Maß für den Schweregrad des Leidens verwendet wird. Es ist keine leichte Lösung in Sicht, aber die Frage ist zu wichtig, als dass man sie ignorieren könnte. 1
Die Möglichkeit, Maße des Wohlbefindens als Leitplanken für politische Entscheidungen heranzuziehen, hat in jüngster Zeit sowohl unter Akademikern als auch bei einigen europäischen Regierungen großes Interesse geweckt. 2 Es ist jetzt denkbar – was vor ein paar Jahren noch unmöglich erschien –, dass ein Index der Menge des Leidens in einer Gesellschaft eines Tages zusammen mit Kenngrößen der Arbeitslosigkeit, der Körperbehinderung und des Volkseinkommens in die nationalen Statistiken aufgenommen werden wird. Dieses Projekt hat große Fortschritte gemacht.
Econs und Humans
In der Alltagssprache bezeichnen wir Menschen dann als vernünftig (reasonable) , wenn man verständig mit ihnen reden kann, wenn ihre Überzeugungen im Allgemeinen mit der Realität in Einklang stehen und wenn ihre Präferenzen ihren Interessen und Werten entsprechen. Das Wort »rational« vermittelt eine Vorstellung von sorgfältigerer Überlegung, strengerem Kalkül und weniger Herzlichkeit, aber in der Alltagssprache gilt eine rationale Person zweifellos als vernünftig. Für Ökonomen und Entscheidungstheoretiker hat das Adjektiv eine völlig andere Bedeutung. Der einzige Rationalitätstest besteht nicht darin, ob die Überzeugungen und Präferenzen einer Person vernünftig sind, sondern darin, ob sie in sich widerspruchsfrei sind. Eine rationale Person kann an Geister glauben, solange alle ihre anderen Überzeugungen mit der Existenz von Geistern konsistent sind. Eine rationale Person kann es vorziehen, gehasst oder geliebt zu werden, solange ihre Präferenzen in sich widerspruchsfrei sind. Rationalität ist logische Kohärenz – ob vernünftig oder nicht. Econs sind definitionsgemäß rational, aber es gibt erdrückende Beweise dafür, dass Humans nicht rational sein können. Ein Econ wäre nicht anfällig für Priming, für die WYSIATI-Regel, enges Framing, die Innenperspektive oder eine Präferenzumkehr; Dinge, die Humans nicht konsequent vermeiden können.
Die Definition von Rationalität als Kohärenz ist in einer wirklichkeitsfremden Weise restriktiv; sie verlangt die Einhaltung von Regeln der Logik, die ein
begrenzter Intellekt nicht leisten kann. Vernunftbegabte Menschen können nach dieser Definition nicht rational sein, aber sie sollten deshalb nicht als irrational gebrandmarkt werden. »Irrational« ist ein starkes Wort, in dem Impulsivität, Emotionalität und eine sture Unzugänglichkeit für wohlbegründete Argumente mitschwingen. 3 Ich zucke oft zusammen, wenn die wissenschaftlichen Beiträge, die ich zusammen mit Amos verfasste, mit den Worten gelobt werden, wir hätten dort den Nachweis erbracht, dass das menschliche Entscheidungsverhalten irrational sei, während unsere Forschungen in Wirklichkeit nur gezeigt haben, dass Humans sich mit dem Modell des rationalen Agenten nicht gut beschreiben lassen.
Auch wenn Humans nicht irrational sind,
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