Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
wir als unser bewusstes Selbst betrachten. System 2 äußert Urteile und trifft Entscheidungen, aber es unterstützt oder rationalisiert oftmals Vorstellungen und Gefühle, die von System 1 erzeugt wurden. Sie mögen nicht wissen, dass Sie ein Projekt optimistisch einschätzen, weil etwas an dessen Leiterin Sie an Ihre geliebte Schwester erinnert, oder dass Sie eine Person unsympathisch finden, die entfernt Ihrem Zahnarzt ähnlich sieht. Doch wenn man Sie nach einer Erklärung fragt, werden Sie Ihr Gedächtnis nach plausiblen Gründen durchforsten und mit Sicherheit einige finden. Außerdem werden Sie die Geschichte glauben, die Sie erfunden haben. Aber System 2 ist nicht nur ein Verteidiger von System 1; es verhindert auch, dass viele verrückte Gedanken und nicht situationsadäquate Impulse offen zum Ausdruck gebracht werden. Die Investition von Aufmerksamkeit verbessert die Leistung bei zahlreichen Aktivitäten – denken Sie an die Risiken des Fahrens durch eine verengte Stelle, wenn Sie zerstreut sind – und ist bei einigen Aufgaben wie etwa Vergleichen, Entscheiden und geordnetem Denken unverzichtbar. Aber System 2 ist kein Inbegriff von Rationalität. Seine Fähigkeiten sind begrenzt, und das Gleiche gilt für das Wissen, zu dem es Zugang hat. Wir denken nicht immer streng logisch, wenn wir nachdenken, und die Fehler sind nicht immer auf falsche Intuitionen zurückzuführen, die sich von selbst aufdrängen. Oft machen wir Fehler, weil wir (unser System 2) es nicht besser wissen.
Ich habe der Beschreibung von System 1 breiten Raum gegeben, und ich habe intuitiven Urteils- und Entscheidungsfehlern, die ich auf System 1 zurückführe, viele Seiten gewidmet. Aber die relative Anzahl von Seiten ist ein schlechter Indikator für die Bilanz zwischen den Glanzleistungen und den Fehlern des intuitiven Denkens. Tatsächlich hat ein Großteil dessen, was wir falsch machen, seinen Ursprung in System 1, aber System 1 ist auch der Ursprung der meisten Dinge, die wir richtig machen – und das ist das meiste dessen, was wir tun. Unsere Gedanken und Handlungen werden routinemäßig von System 1 gesteuert, und sie liegen im Allgemeinen richtig. Eine der Glanzleistungen ist das differenzierte und detaillierte Modell unserer Welt, das im assoziativen
Gedächtnis abgespeichert ist: Es unterscheidet im Bruchteil einer Sekunde überraschende von normalen Ereignissen, erzeugt sofort eine Vorstellung von dem, was anstatt einer Überraschung erwartet wurde, und sucht automatisch nach einer kausalen Interpretation von Überraschungen und Ereignissen, sowie sie stattfinden.
Im Gedächtnis ist auch das gewaltige Repertoire an Fähigkeiten gespeichert, die wir in lebenslanger Übung erworben haben und die automatisch geeignete Lösungen für unvermittelt auftretende Herausforderungen generieren, vom Umgehen eines großen Steins, der im Weg liegt, bis zur Abwendung des beginnenden Wutanfalls eines Kunden. Der Erwerb von Fähigkeiten erfordert ein geregeltes Umfeld, ausreichende Übungsgelegenheiten und zügige sowie unzweideutige Rückmeldungen über die Richtigkeit von Gedanken und Handlungen. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, entwickelt sich langfristig eine Fähigkeit, und die intuitiven Urteile und Entscheidungen, die uns dann spontan einfallen, werden überwiegend zutreffend sein. All dies leistet System 1, was bedeutet, dass es sich um eine automatische und zügige Aktivität handelt. Ein Kennzeichen von sachkundigem Leistungsvermögen ist die Fähigkeit, große Mengen an Informationen schnell und effizient zu verarbeiten.
Wenn man einer Herausforderung begegnet, für die eine sachkundige Reaktion verfügbar ist, wird diese Reaktion ausgelöst. Was geschieht bei fehlender Sachkunde? Manchmal, etwa bei dem Problem 17 × 24 = ?, das eine spezifische Antwort verlangt, ist es unmittelbar offensichtlich, dass System 2 einbezogen werden muss. Aber System 1 ist nur selten ratlos; es wird nicht durch Kapazitätsgrenzen eingeschränkt, und es ist verschwenderisch in seinen Berechnungen. Wenn es nach einer Antwort auf eine Frage sucht, erzeugt es gleichzeitig Antworten auf verwandte Fragen, und es ersetzt womöglich die erbetene Antwort durch eine Antwort, die ihm leichter einfällt. In dieser Konzeption von Heuristiken ist die heuristische Antwort nicht unbedingt einfacher oder anspruchsloser als die ursprüngliche Frage – sie ist nur leichter zugänglich, lässt sich schneller und müheloser berechnen. Die heuristischen
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