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Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Titel: Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kahneman
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eines Gegenstandes als Hinweis auf seine Entfernung benutzt wird. Solche Verzerrungen finden sich auch bei
intuitiven Wahrscheinlichkeitsurteilen. In diesem Aufsatz werden drei Heuristiken beschrieben, die zur Schätzung von Wahrscheinlichkeiten und zur Vorhersage von Werten benutzt werden. Die Verzerrungen, zu denen diese Heuristiken führen, werden im Einzelnen benannt, und die praktischen und theoretischen Folgen dieser Beobachtungen werden diskutiert.

Repräsentativität
    Viele der probabilistischen Fragen, mit denen sich Menschen befassen, gehören zu einem der folgenden Typen: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Objekt A zur Klasse B gehört? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Ereignis A seinen Ursprung in Prozess B hat? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Prozess B Ereignis A hervorbringt? Bei der Beantwortung derartiger Fragen stützen sich Menschen typischerweise auf die Repräsentativitätsheuristik, bei der Wahrscheinlichkeiten nach dem Ausmaß, in dem A repräsentativ für B ist, beurteilt werden, also nach dem Ausmaß, in dem A B ähnelt. Wenn beispielsweise A in hohem Maße repräsentativ für B ist, dann wird die Wahrscheinlichkeit als hoch eingeschätzt, dass A aus B hervorgegangen ist. Besitzt andererseits A keine Ähnlichkeit mit B, wird die Wahrscheinlichkeit, dass A aus B hervorgegangen ist, als niedrig eingestuft.
    Betrachten wir zur Verdeutlichung eines Urteils auf der Basis der Repräsentativität ein Individuum, das von einem ehemaligen Nachbarn folgendermaßen beschrieben wurde: »Steve ist sehr schüchtern und reserviert, stets hilfsbereit, aber wenig an Menschen oder der realen Welt interessiert. Als ein sanftmütiger und penibler Mensch hat er ein Bedürfnis nach Ordnung und Struktur und eine Passion für Details.« Wie hoch schätzen Menschen die Wahrscheinlichkeit ein, dass Steve in einem bestimmten Beruf aus einer Liste von Wahlmöglichkeiten (zum Beispiel Landwirt, Verkäufer, Zivilpilot, Bibliothekar oder Arzt) tätig ist? Wie ordnen die Befragten diese Berufstätigkeiten von den wahrscheinlichsten zu den unwahrscheinlichsten Möglichkeiten? Bei der Repräsentativitätsheuristik wird die Wahrscheinlichkeit, dass Steve zum Beispiel Bibliothekar ist, nach dem Ausmaß beurteilt, in dem er repräsentativ für das Stereotyp eines Bibliothekars ist, diesem also ähnelt. Tatsächlich haben Studien über derartige Probleme gezeigt, dass sich die Rangordnung der Berufstätigkeiten nach Wahrscheinlichkeit exakt mit der Rangordnung nach Ähnlichkeit deckt. 2 Diese Methode, Wahrscheinlichkeiten zu beurteilen, führt zu
schwerwiegenden Fehlern, weil Ähnlichkeit oder Repräsentativität von einigen Faktoren, die sich auf Wahrscheinlichkeitsurteile auswirken sollten, nicht beeinflusst wird.
     
    Unempfindlichkeit gegen A-priori-Wahrscheinlichkeiten der Ergebnisse. Einer der Faktoren, die keinen Einfluss auf die Repräsentativität haben, sich aber deutlich auf die Wahrscheinlichkeit auswirken sollten, ist die A-priori-Wahrscheinlichkeit oder Grundhäufigkeit (Basisrate) der Ergebnisse. Im Fall von Steve beispielsweise sollte die Tatsache, dass es in der Bevölkerung viel mehr Landwirte als Bibliothekare gibt, in jede vernünftige Schätzung der Wahrscheinlichkeit eingehen, dass Steve eher für einen Bibliothekar als für einen Landwirt gehalten wird. Die Berücksichtigung der Grundhäufigkeit wirkt sich allerdings nicht auf die Ähnlichkeit von Steve mit den Stereotypen von Bibliothekaren und Landwirten aus. Wenn Menschen Wahrscheinlichkeiten anhand der Repräsentativität beurteilen, werden sie daher die A-priori-Wahrscheinlichkeiten vernachlässigen. Diese Hypothese wurde in einem Experiment überprüft, in dem die A-priori-Wahrscheinlichkeiten manipuliert wurden. 3 Den Versuchsteilnehmern wurden kurze Persönlichkeitsbeschreibungen mehrerer Individuen dargeboten, die angeblich aus einer Gruppe von hundert Akademikern – Ingenieuren und Juristen – nach dem Zufallsprinzip ausgewählt worden waren. Die Probanden sollten für jede Beschreibung die Wahrscheinlichkeit angeben, mit der sie sich auf einen Ingenieur oder einen Juristen bezog. In einer Variante des Experiments wurde den Versuchspersonen gesagt, die Gruppe, aus der die Beschreibungen entnommen worden seien, habe aus siebzig Ingenieuren und dreißig Juristen bestanden. In einer anderen Variante wurde den Probanden gesagt, die Gruppe habe aus dreißig Ingenieuren und siebzig Juristen bestanden. Die Wahrscheinlichkeit

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