Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
(Odds), dass sich eine bestimmte Beschreibung auf einen Ingenieur statt auf einen Juristen bezieht, sollte in der ersten Bedingung höher sein – denn dort stellen Ingenieure die Mehrheit – als in der zweiten Bedingung, in der Juristen die Mehrheit stellen. Durch Anwendung der Bayesschen Regel kann insbesondere gezeigt werden, dass das Verhältnis dieser Odds für jede Beschreibung (0,70/0,30) 2 oder 5,44 betragen sollte. In einem eklatanten Verstoß gegen die Bayessche Regel trafen die Versuchspersonen in den beiden Bedingungen im Wesentlichen die gleichen Wahrscheinlichkeitsurteile. Offenbar beurteilten die Testpersonen die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine bestimmte Beschreibung auf einen Ingenieur statt auf einen Juristen bezieht, nach dem Ausmaß, in dem diese Beschreibung repräsentativ für die beiden Stereotype
ist, wobei sie den A-priori-Wahrscheinlichkeiten der Kategorien nur eine geringe oder gar keine Beachtung schenkten.
Die Probanden verwendeten die A-priori-Wahrscheinlichkeiten richtig, wenn sie sonst keine Informationen hatten. Wenn ihnen keine Persönlichkeitsskizze vorlag, schätzten sie die Wahrscheinlichkeit, dass ein unbekanntes Individuum ein Ingenieur ist, unter beiden experimentellen Bedingungen mit je zwei Basisraten auf 0,70 beziehungsweise 0,30. Doch wurden die A-priori-Wahrscheinlichkeiten faktisch ignoriert, sobald eine Beschreibung vorgelegt wurde, auch wenn diese Beschreibung keinerlei Informationsgehalt hatte. Die Antworten auf die folgende Beschreibung veranschaulichen dieses Phänomen:
Dick ist ein dreißigjähriger Mann. Er ist verheiratet, aber kinderlos. Als ein äußerst fähiger, hoch motivierter Mann verspricht er in seinem Berufsfeld einmal recht erfolgreich zu sein. Bei seinen Kollegen ist er sehr beliebt.
Diese Beschreibung sollte keine Informationen hinsichtlich der Frage liefern, ob Dick Ingenieur oder Jurist ist. Folglich sollte die Wahrscheinlichkeit, dass Dick ein Ingenieur ist, gleich dem Prozentsatz der Ingenieure in der Gruppe sein, so, als wäre keine Beschreibung gegeben worden. Doch die Probanden schätzten die Wahrscheinlichkeit, dass Dick ein Ingenieur ist, auf 0,50, unabhängig davon, ob der angegebene Prozentsatz der Ingenieure in der Gruppe 70 oder 30 Prozent war. Offenkundig reagierten Menschen unterschiedlich, je nachdem, ob sie keine oder wertlose Informationen erhielten. Ohne Angabe spezifischer Informationen werden die A-priori-Wahrscheinlichkeiten richtig angewandt; werden wertlose Informationen angegeben, werden die A-priori-Wahrscheinlichkeiten ignoriert. 4
Unempfindlichkeit gegenüber dem Stichprobenumfang. Um die Wahrscheinlichkeit für ein bestimmtes Ergebnis in einer Stichprobe abzuschätzen, die einer näher beschriebenen Grundgesamtheit entnommen wurde, greifen Menschen typischerweise auf die Repräsentativitätsheuristik zurück. Das heißt, sie beurteilen die Wahrscheinlichkeit eines Stichprobenergebnisses – zum Beispiel, dass die durchschnittliche Körpergröße in einer Zufallsstichprobe von zehn Männern 1,83 Meter beträgt – anhand der Ähnlichkeit dieses Ergebnisses mit dem entsprechenden Parameter (das heißt der durchschnittlichen Körpergröße in der Grundgesamtheit der Männer). Die Ähnlichkeit einer Stichprobenstatistik mit einem Populationsparameter hängt nicht von dem Umfang der Stichprobe ab. Wenn Wahrscheinlichkeiten nach der Repräsentativität beurteilt werden, ist
folglich die beurteilte Wahrscheinlichkeit einer Stichprobenstatistik weitgehend unabhängig vom Stichprobenumfang. Als Probanden die Verteilungen der Durchschnittsgröße für Stichproben von unterschiedlichen Umfängen beurteilten, erzeugten sie identische Verteilungen. So wurde zum Beispiel der Wahrscheinlichkeit, eine Durchschnittsgröße von über 1,83 Meter zu erreichen, für Stichproben aus tausend, hundert und zehn Männern derselbe Wert zugeschrieben. 5 Außerdem haben Probanden die Rolle des Stichprobenumfangs auch dann nicht angemessen berücksichtigt, wenn diese in der Formulierung des Problems betont wurde. Betrachten Sie die folgende Frage:
In einer bestimmten Stadt gibt es zwei Kliniken. In der größeren Klinik kommen jeden Tag etwa 45 Kinder zur Welt, in der kleineren Klinik werden jeden Tag etwa 15 Kinder geboren. Wie Sie wissen, sind etwa 50 Prozent aller Neugeborenen Jungen. Die genauen Prozentsätze schwanken allerdings von Tag zu Tag. Manchmal mögen es mehr als 50 Prozent sein, manchmal weniger. Über einen Zeitraum von
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