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Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Titel: Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kahneman
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Empfindlichkeit für Quantität (Psychophysik) a
– reagiert stärker auf Verluste als auf Gewinne ( Verlustaversion) a
– fasst Entscheidungsprobleme eng und getrennt voneinander a

TEIL II
Heuristiken und kognitive Verzerrungen

10. Das Gesetz der kleinen Zahlen
    Eine Studie über die Häufigkeit von Nierenkrebs in den 3141 Countys der Vereinigten Staaten brachte ein bemerkenswertes Muster zum Vorschein. Die Landkreise mit der niedrigsten Nierenkrebshäufigkeit liegen überwiegend in ländlichen, dünn besiedelten und traditionell republikanischen Bundesstaaten im Mittleren Westen, Süden und Westen. Was hat das zu bedeuten?
    Ihr Gehirn war in den letzten Sekunden sehr aktiv, und dabei wurde vor allem System 2 beansprucht. Sie haben gezielt Ihr Gedächtnis durchsucht und Hypothesen formuliert. Das war mit einer gewissen Anstrengung verbunden; Ihre Pupillen erweiterten sich, und Ihr Herz schlug messbar schneller. Aber System 1 war nicht untätig: Die Operation von System 2 hing von den Tatsachen und Vorschlägen ab, die aus dem assoziativen Gedächtnis abgerufen wurden. Sie haben vermutlich die Hypothese verworfen, dass die Politik der Republikaner einen Schutz vor Nierenkrebs bietet. Sehr wahrscheinlich konzentrierten Sie sich schließlich auf die Tatsache, dass die Countys mit niedriger Krebshäufigkeit überwiegend ein ländliches Gepräge haben. Die geistreichen Statistiker Howard Wainer und Harris Zwerling, von denen ich dieses Beispiel habe, merkten an: »Es ist sowohl naheliegend als auch verlockend, zu folgern, dass die niedrigeren Krebserkrankungsraten direkt mit der geringen Schadstoffbelastung ländlicher Lebensräume zusammenhängen – keine Luftverschmutzung, keine Wasserverschmutzung, Zugang zu unbelasteten frischen Lebensmitteln.« 1 Dies erscheint vollkommen plausibel.
    Betrachten wir jetzt die Landkreise, in denen die Nierenkrebsinzidenz am höchsten ist. Diese »kränkelnden« Countys liegen überwiegend in ländlichen, dünn besiedelten Regionen traditionell republikanischer Bundesstaaten im Mittleren Westen, dem Süden und dem Westen der USA. Augenzwinkernd kommentierten Wainer und Zwerling: »Man könnte leicht folgern, dass die höheren Krebserkrankungsraten direkt auf die Defizite des ländlichen Lebensstils zurückzuführen sind – kein Zugang zu guter medizinischer Versorgung, fettreiche Ernährung und zu viel Alkohol und Tabak.« Selbstverständlich kann da etwas nicht stimmen. Der ländliche Lebensstil kann nicht
zugleich die sehr hohe und die sehr niedrige Häufigkeit von Nierenkrebs erklären.
    Der Schlüsselfaktor ist nicht, dass die Landkreise in ländlich geprägten oder überwiegend republikanischen Regionen lagen. Entscheidend ist vielmehr, dass ländliche Countys eine geringe Bevölkerungszahl haben. Und die wichtigste Lektion, die wir daraus lernen können, betrifft nicht die Epidemiologie, sondern die schwierigen Beziehungen zwischen unserem Intellekt und der Statistik. System 1 versteht sich hervorragend auf eine bestimmte Form des Denkens  – es erkennt automatisch und mühelos kausale Verknüpfungen zwischen Ereignissen, manchmal sogar dann, wenn diese Beziehung zweifelhaft ist. Als Sie von den Countys mit hohen Krebsraten hörten, nahmen Sie sofort an, dass sich diese Countys aus irgendeinem Grund von anderen Countys unterscheiden, dass es ein Grund geben muss, der diesen Unterschied erklärt. Doch wie wir sehen werden, ist System 1 recht unbeholfen, wenn es mit »bloßen statistischen« Fakten konfrontiert ist, die die Wahrscheinlichkeit von Ergebnissen verändern, diese aber nicht verursachen.
    Ein Zufallsereignis entzieht sich, definitionsgemäß, einer Erklärung, aber Mengen von Zufallsereignissen verhalten sich in einer höchst regelhaften Weise. Stellen Sie sich eine mit Murmeln gefüllte Urne vor. Die Hälfte der Murmeln ist rot, die andere Hälfte ist weiß. Stellen Sie sich als Nächstes eine sehr geduldige Person (oder einen Roboter) vor, die blind vier Murmeln aus der Urne zieht, die Anzahl der roten Kugeln in der Stichprobe notiert, die Kugeln wieder zurück in die Urne wirft, und das gleiche Prozedere dann viele Male wiederholt. Wenn man die Ergebnisse addiert, stellt man fest, dass das Ergebnis »2 rot, 2 weiß« (fast exakt) sechsmal so häufig vorkommt wie das Ergebnis »4 rot« oder »4 weiß«. Diese Beziehung ist eine mathematische Tatsache. Wir können das Ergebnis wiederholter Stichprobennahmen aus einer Urne genauso zuverlässig vorhersagen, wie

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