Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Titel: Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kahneman
Vom Netzwerk:
Forschungssituationen beschrieb, unter anderem auch Wiederholungen erfolgreicher Experimente. Die Forscher wurden aufgefordert, die Stichprobengrößen festzulegen, die Fehlerrisiken zu bewerten, denen sie durch ihre Entscheidungen ausgesetzt waren, und hypothetische Doktoranden bei der Planung ihrer Studien zu beraten. Amos sammelte die Antworten einer Gruppe qualifizierter Teilnehmer (darunter waren auch die Autoren zweier Statistik-Lehrbücher) bei einer Tagung der Gesellschaft für Mathematische Psychologie ein. Die Ergebnisse waren eindeutig: Ich war nicht der einzige Stümper. Jeden der Fehler, die ich gemacht hatte, hatte auch eine große Mehrheit der von uns Befragten gemacht. Ganz offensichtlich schenkten selbst die Experten dem Stichprobenumfang keine hinlängliche Beachtung.
    Amos und ich nannten unseren ersten gemeinsamen Artikel »Glaube an das Gesetz der kleinen Zahlen«. 3 Wir erklärten augenzwinkernd, dass »Intuitionen über die Zufallsauswahl von Stichproben das Gesetz der kleinen Zahlen zu erfüllen scheinen, das besagt, dass das Gesetz der großen Zahlen auch für kleine Zahlen gilt«. Wir plädierten auch nachdrücklich dafür, dass Forscher ihren »statistischen Intuitionen mit angemessenem Misstrauen begegnen und, statt sich auf Eindrücke zu verlassen, möglichst Berechnungen durchführen sollten«. 4

Die Tendenz, eher zu glauben als zu zweifeln
    Bei einer telefonischen Befragung von 300 Senioren erklärten 60 Prozent ihre Unterstützung für den Präsidenten.
    Wenn Sie die Botschaft dieses Satzes in genau drei Wörtern zusammenfassen sollten, wie würden diese lauten? Höchstwahrscheinlich würden Sie »Senioren unterstützen den Präsidenten« äußern. Diese Wörter geben den Kern der Aussage wieder. Die weggelassenen Einzelheiten der Erhebung – dass sie telefonisch
durchgeführt wurde und die Stichprobe 300 Personen umfasste – sind, für sich genommen, uninteressant; sie liefern Hintergrundinformationen, die wenig Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ihr Resümee wäre das Gleiche, wenn der Stichprobenumfang ein anderer gewesen wäre. Natürlich würden Sie bei einer völlig absurden Zahl aufmerken (»… eine telefonische Befragung von 6 [oder 60 Millionen] älteren Wählern …«). Aber wenn Sie kein Experte sind, werden Sie auf eine Stichprobe von 150 einerseits und eine von 3000 andererseits nicht sehr unterschiedlich reagieren. Dies ist die Bedeutung der Aussage: »Menschen schenken dem Stichprobenumfang keine hinreichende Beachtung.«
    Die Nachricht über die Erhebung enthält zwei verschiedene Typen von Informationen: die Sachinformation an sich und die Informationsquelle. Sie interessieren sich verständlicherweise eher für die Sachinformation als für die Zuverlässigkeit der Ergebnisse. Aber wenn die Zuverlässigkeit offenkundig niedrig ist, verliert die Nachricht ihre Glaubwürdigkeit. Wenn man Ihnen sagt: »Eine Gruppe von Sympathisanten hat eine fehlerhafte und tendenziöse Erhebung durchgeführt, um den Nachweis zu erbringen, dass die Senioren den Präsidenten unterstützen …«, werden Sie natürlich die Ergebnisse der Befragung ablehnen, und sie werden nicht Teil Ihrer Überzeugungen. Stattdessen werden die Sympathisantenumfrage und ihre falschen Ergebnisse eine neue Geschichte über politische Lügen darstellen. In solchen klaren Fällen können Sie frei entscheiden, ob Sie eine Botschaft nicht glauben. Aber unterscheiden Sie auch hinlänglich zwischen »Ich las in der New York Times  …« und »Ich hörte beim Kaffeeautomaten …«? Kann Ihr System 1 zwischen Stufen des Überzeugtseins unterscheiden? Das WYSIATI-Prinzip spricht dafür, dass es dies nicht kann.
    Wie früher beschrieben, ist System 1 nicht anfällig für Zweifel. Es unterdrückt Ambiguität und konstruiert spontan Geschichten, die so kohärent wie möglich sind. Sofern die Nachricht nicht sofort verneint wird, breiten sich die Assoziationen, die sie hervorruft, so aus, als wäre die Nachricht wahr. System 2 kann zweifeln, weil es gleichzeitig inkompatible Möglichkeiten aufrechterhalten kann. Aber es ist anstrengender, Zweifel aufrechtzuerhalten, als in Gewissheit zu verfallen. Das Gesetz der kleinen Zahlen ist eine Ausprägung der allgemeinen Tendenz, eher zu glauben, als zu zweifeln, die uns in den nächsten Kapiteln in zahlreichen Erscheinungsformen begegnen wird.
    Die starke Tendenz, zu glauben, dass kleine Stichproben weitgehend mit der Population übereinstimmen, der sie entnommen wurden,

Weitere Kostenlose Bücher