Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
hatte gewonnen!
Wir hatten, um in der Begrifflichkeit dieses Buches zu bleiben, ein Versagen von System 2 beobachtet: Unsere Probanden hatten eine ordentliche Chance, die Relevanz der logischen Regel zu erkennen, da beide Ergebnisse im selben Ranking enthalten waren. Aber sie haben diese Chance nicht genutzt. Als wir das Experiment erweiterten, stellten wir fest, dass 89 Prozent der Studenten in unserer Stichprobe gegen die Logik der Wahrscheinlichkeit verstießen. Da wir überzeugt davon waren, dass Probanden mit Statistikkenntnissen besser abschneiden würden, teilten wir denselben Fragebogen an Doktoranden des Studiengangs Entscheidungswissenschaft der Stanford Graduate School of Business aus, die alle mehrere vertiefende Lehrveranstaltungen in Wahrscheinlichkeits- und Entscheidungstheorie sowie Statistik besucht hatten. Wir waren wieder überrascht: 85 Prozent dieser Probanden hielten »feministische Bankkassiererin« für wahrscheinlicher als »Bankkassiererin«.
In »zunehmend verzweifelten« Bemühungen, den Fehler zu beseitigen, wie wir später schrieben, machten wir große Probandengruppen mit Linda bekannt und stellten ihnen diese einfache Frage:
Welche Alternative ist wahrscheinlicher?
Linda ist eine Bankkassiererin?
Linda ist eine Bankkassiererin und in der feministischen Bewegung aktiv?
Diese starke Version des Problems machte Linda in manchen Kreisen berühmt, und sie trug uns eine jahrelang Kontroverse ein. Etwa 85 bis 90 Prozent der Studenten an mehreren großen amerikanischen Universitäten entschieden sich – entgegen der Logik der Wahrscheinlichkeit – für die zweite Option. Bemerkenswerterweise schienen die Sünder keine Scham zu empfinden. Als ich die Teilnehmer eines großen Seminars fragte: »Ist Ihnen bewusst, dass Sie gegen eine elementare logische Regel verstoßen haben?«, rief jemand in der letzten Reihe: »Na und?« Und eine Studentin, die denselben Fehler gemacht hatte, rechtfertigte sich mit der Aussage: »Ich dachte, Sie hätten mich nur nach meiner Meinung gefragt.«
Das Wort »Fehlschluss« wird im Allgemeinen dann benutzt, wenn Menschen eine logische Regel, die offenkundig relevant ist, nicht anwenden. Amos und ich führten das Konzept des »Konjunktionsfehlschlusses« ein, den Menschen begehen, wenn sie eine Verknüpfung zweier Ereignisse (hier Bankkassiererin und Feministin) im direkten Vergleich als wahrscheinlicher beurteilen als eines der Ereignisse (Bankkassiererin).
Wie bei der Müller-Lyer-Illusion bleibt der Fehlschluss auch dann verlockend, wenn man ihn als solchen erkennt. Der Evolutionsforscher Stephen Jay Gould beschrieb sein eigenes Ringen mit dem Linda-Problem. Er kannte natürlich die richtige Antwort, und dennoch schrieb er: »Ein kleiner Homunkulus in meinem Kopf springt weiterhin auf und ab und schreit mich an: ›Aber sie kann nicht nur eine Bankkassiererin sein; lies die Beschreibung.‹« 2 Der kleine Homunkulus ist natürlich Goulds System 1, das eindringlich auf ihn einredet. (Die Zwei-System-Terminologie war zu dem Zeitpunkt, als er schrieb, noch nicht eingeführt.)
Die richtige Antwort auf diese Kurzfassung des Linda-Problems war nur in einer unserer Studien die Mehrheitsantwort: 64 Prozent einer Gruppe von Graduierten der Sozialwissenschaften an den Universitäten Stanford und Berkeley urteilten zutreffend, dass »feministische Bankkassiererin« weniger wahrscheinlich als »Bankkassiererin« ist. In der ursprünglichen Version mit acht Ergebnissen (wie weiter oben gezeigt) hatten nur 15 Prozent einer ähnlichen Gruppe von vorgerückten Studenten diese Wahl getroffen. Der Unterschied ist lehrreich. Die längere Version trennte die beiden entscheidenden
Ergebnisse durch ein eingeschobenes Element (»Versicherungsvertreterin«), und die Leser beurteilten jedes Ergebnis unabhängig von den anderen, ohne sie miteinander zu vergleichen. Die kürzere Version dagegen erforderte einen expliziten Vergleich, der System 2 mobilisierte und den meisten Studenten mit Statistikkenntnissen erlaubte, den Fehlschluss zu vermeiden. Leider haben wir die Gedankengänge der erheblichen Minderheit (36 Prozent) in dieser sachkundigen Probandengruppe, die falsch entschieden hat, nicht weiter untersucht.
Die Wahrscheinlichkeitsurteile unserer Probanden beim Tom-W.- und beim Linda-Problem entsprachen genau den Repräsentativitätsurteilen (Ähnlichkeit mit Stereotypen). Repräsentativität gehört zu einem Cluster eng miteinander verbundener grundlegender Bewertungen,
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