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Schnitt: Psychothriller

Schnitt: Psychothriller

Titel: Schnitt: Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Raabe
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das?«
    Â»Was er mir angetan hat«, Vals Mund ist immer noch an ihrer Achsel, als ob es ihre Ohrmuschel wäre, »das ist ungeheuerlich. Ich war frei. Für eine Nacht war ich frei und durfte kosten, fühlen, riechen, schmecken. Es war gewaltig. Es war der Anfang von etwas Großem, es sollte nie wieder aufhören. Und dann kam dein kleiner Luke.« Val atmet heiß in ihre Achsel aus. Liz zuckt zusammen wie unter einem Stromstoß.
    Â»Genug geredet«, sagt Val plötzlich knapp, als müsste er sich von der Erinnerung losreißen, und richtet sich auf. Rasch wendet er sich ab. Im Hinausgehen sagt er trocken: »Denk an mich. Ich tue es auch.«
    Der Schlüssel knirscht im Schloss. Zwanzig Minuten später geht das Licht aus, und Dunkelheit umhüllt Liz gnädig; dass Val für ein paar Stunden blind ist, fühlt sich an wie ein kleiner Sieg inmitten einer längst verlorenen Schlacht.

Kapitel 39
    Nirgendwo – 25. September
    Liz weiß, gleich wird das grelle Licht aufflammen, sie wartet regelrecht darauf, mit geschlossenen Lidern, um ihre Augen zu schützen. Ihr Kopf ist klar und schnell, bis auf die bodenlose Müdigkeit. Sie hat sich nicht wieder an den Tropf angeschlossen. Nicht heute.
    Der Schlauch der Infusion hängt vom Gestänge des Tropfs herab und führt zwar wie gewohnt unter die Bettdecke, doch dort liegt er lose neben ihrer Hand, ebenso wie die Venenkanüle, die sie sich in der Nacht selbst gezogen hat.
    Eintausendvierhundertmal ist sie in der vorletzten Nacht die sieben Schritte von Wand zu Wand gelaufen; diese Nacht hat sie ihre Kräfte gespart und ist den Weg nur achthundertmal gegangen.
    Mit geschlossenen Augen geht sie alles im Geiste durch, wieder und wieder, um sich abzulenken, um zu verhindern, dass Angst und Zweifel sie lähmen.
    Brzmp.
    Mit einem elektrischen Summen zündet die Neonröhre. Hinter ihren Lidern wird aus Schwarz Rot. Noch etwa fünf Minuten bis zum Frühstück. Abermals geht sie alles durch, wiederholt es wie ein Mantra. Ihre Finger schließen sich um die Spritze in ihrer Hand. Alles in ihr konzentriert sich auf den einen Moment. Sie weiß, dass sie nicht mehr als drei oder vier Sekunden hat, und lauscht in die tote Stille. Ihre Trommelfelle sind fast bis zum Zerreißen gespannt, das Blut rauscht so laut durch ihren Kopf, dass sie Angst hat, sie könnte den entscheidenden Augenblick verpassen. Sie tritt aus sich heraus, sieht sich im Bett liegen, wie in einem Film, beinahe nackt, die dünne Spritze in der Faust, verzweifelt, fast grotesk.
    Dann hört sie die Schritte.
    Liz schnellt empor, wirft die Decke beiseite. Ihre Füße berühren den Boden, das dünne Leibchen flattert.
    Von der Tür her hört sie das metallische Stakkato, mit dem der Bart des Schlüssels Zacken für Zacken in das Zylinderschloss gleitet.
    Ein Sprung in die Mitte des Zimmers, sie streckt ihren Arm mit der Spritze voran nach oben, nimmt das Gitter unterhalb der Leuchtstofflampe ins Visier und springt hoch. Zum Glück ist die Decke niedrig. Die Plastikspritze stößt durch das Gitter, trifft die empfindliche Neonröhre. Das Glas platzt, und Splitter regnen herab; augenblicklich ist es dunkel.
    Die Tür schwingt auf, und Yvette bleibt verblüfft im Türrahmen stehen, ein schwarzer Schatten in einem hellen Rechteck, mit einem widerlichen Frühstück in der Hand. An ihrem Hosenbund baumelt der Karabinerhaken mit dem Schlüssel. Liz’ Finger schließen sich um das fahrbare Metallgestänge für den Tropf; bevor Yvette sich in der Dunkelheit orientieren kann, rammt Liz ihr das Gestell in den Magen wie eine stumpfe Lanze.
    Yvette stöhnt auf und taumelt zwei Schritte zurück. Die Schale mit dem Brei landet klappernd auf dem Boden, instinktiv hat Yvette mit beiden Händen nach dem Metallgestänge gegriffen; Liz hält das andere Ende umfasst und stemmt sich dagegen, versucht Yvette, die ihr immer noch den Weg versperrt, beiseitezuschieben.
    Â»Verfluchte Schlampe«, keucht Yvette. Ihre Kraft ist beängstigend, und Liz spürt, wie sie an Boden verliert. Zentimeter für Zentimeter drängt Yvette sie mit dem Metallgestänge zurück in die dunkle Zelle, dahin, wo die Scherben der Neonröhre liegen. Panik überfällt Liz. Und gleichzeitig ist da ein einzelner verzweifelter Gedanke.
    Ich will hier raus!
    Mit aller Kraft stemmt sie sich gegen das Gestänge, dann dreht sie

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