Schnitt: Psychothriller
24. September
Val. Wie ein blasser Geist schwebt der Name durch ihr Gehirn.
Sieh nicht in die Ecke. Er starrt dich an.
Liz liegt auf dem Rücken und versucht, die vergitterte quadratische Scheibe knapp unterhalb der Zellendecke zu ignorieren. Solange das Licht an ist, sieht er dich.
Je nachdem, wie sie den Kopf dreht, kann sie sogar den schwachen Glanz des Objektivs der Ãberwachungskamera hinter dem Gitter erkennen. Vielleicht nimmt er sogar alles auf, dann sieht er dich immer, in jeder Sekunde. Sie stellt sich vor, wie er auf schnellen Rücklauf oder Vorlauf drückt, bis er zu einer für ihn interessanten Stelle kommt. Sie weià nicht, was schlimmer ist, dass er jederzeit durch die Tür treten kann, um mit ihr alles zu machen, was er will, oder dass er sie in jeder noch so intimen Sekunde besitzt, sie anstarren kann, wenn sie sich mit Yvettes Hilfe wäscht, wenn sie vor Verzweiflung weint, oder wenn sie über ihren Bauch streicht und sich fragt, wie es da drinnen wohl aussieht, wie es ihrem Baby geht.
Bitte lass es dunkel werden! Bitte!
Aber es wird nicht dunkel. Stattdessen wird die Tür geöffnet. Schon an der Art, wie die Tür aufgeht, erkennt sie, dass es nicht Yvette ist. Der Luftzug erwischt sie wie der heiÃe Atem einer Raubkatze. Alles zieht sich zusammen. Jetzt weià sie, was schlimmer ist. Es ist schlimmer, wenn er durch die Tür tritt und mit ihr alles machen kann, was er nur will.
Lizâ Blick sucht an der Decke Halt, klammert sich an die vergitterte Neonröhre.
»Hallo, Liz«, sagt er. »Lass dich ansehen.«
Liz rührt sich nicht.
Langsam zieht Val die Decke von ihr. »Das Leibchen.«
Mehr muss er nicht sagen. Sie bewegt ihre Hände automatisch, und doch schafft sie es, die Hände langsam zu bewegen, als ob sie immer noch zu schwach wäre.
Val atmet laut.
Die Luft streicht über Lizâ nackten Körper, und sie hasst, was jetzt passiert, dass sich alles zusammenzieht, ihre Brustwarzen, all ihre Poren, direkt vor seinen Augen.
Vals Handprothese berührt sie zwischen den Beinen, streicht aufwärts, durch die Furche ihrer Vagina, durch ihre Schamhaare, in einer erschreckend geraden Linie, zielgerichtet aufwärts über ihren Unterleib, über ihr Baby, bis hinauf in das Tal zwischen ihren Brüsten.
»Dir geht es besser«, murmelt Val. »Gut so. Die Haut muss unversehrt sein, glatt und weià und rosa. Nicht voller Flecken.«
Die Haut muss unversehrt sein? Wofür? Die bange Frage durchdringt Liz bis in den letzten Winkel ihres Bewusstseins.
»Ich habe ein Kleid für dich ausgesucht, für den Dreizehnten. Es wird dir wunderbar stehen. Du wirst aussehen wie eine Königin.« Val lacht klirrend. Es klingt, als zerschellten Eiszapfen auf dem Boden. »Wie ein Filmstar. Ich bin gespannt auf sein Gesicht.«
Auf wessen Gesicht?
»Du willst wissen, was ich mit dir vorhabe, oder?«
Liz nickt stumm.
»Ich kann es kaum abwarten, wenn ich ehrlich bin. Deswegen besuche ich dich so selten, damit ich nicht in Versuchung komme. WeiÃt du, es wäre schade, alles zu verraten, diese Angst, diese Ungewissheit in deinen Augen, dieses Zittern, wie eine Kerzenflamme, die nicht weiÃ, wie viel Wachs noch unter ihr ist. Das ist wunderschön anzusehen.«
Winzige SchweiÃperlen kristallisieren sich auf Lizâ Gesicht. Ihr Mund ist eine Wüste.
»Ich gebe zu, ich musste ihm einen kleinen Vorsprung einräumen. Einen Wissensvorsprung. Einen Angstvorsprung.«
»Wem?«, fragt Liz atemlos.
» Ihm natürlich, dem kleinen Luke. Deinem Luke, Prinzessin.«
Gabriel. Er meint Gabriel.
»WeiÃt du, ich bin unglücklich. Ich kann die Angst in seinen Augen nicht so sehen wie in deinen. Er ist nun mal nicht hier, ich kann nur mit ihm reden, ihn hören. Aber Angst zu sehen ist viel intensiver, als sie nur zu hören. Deswegen musste ich ihm etwas verraten. Damit ich seine Angst wenigstens hören kann.«
Val beugt sich weit nach vorne, über Liz, sie sieht sein geteiltes Gesicht, die vernarbte Fratze und das engelsgleiche Lächeln, während seine Nase ihre Schulter berührt und seine Zungenspitze in ihre Achselhöhle taucht.
» Deine Angst kann ich sogar riechen«, raunt er. Sein Atem kriecht heià in Liz hinein. »Und schmecken. Wenn ich könnte, würde ich den Geschmack in einen Umschlag packen und ihm schicken.«
»Warum ⦠warum tun Sie
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