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Schnitt: Psychothriller

Schnitt: Psychothriller

Titel: Schnitt: Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Raabe
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beenden. Jederzeit. Du musst dich nur entscheiden.
    Das willst du? Dass ich mich entscheide? Gegen Liz? Begreifst du, was du da verlangst?, flüstert Gabriel. Hör zu! Ich habe meinen Vater getötet. Ich! Ich weiß nicht, warum, ich kann mich nicht mehr erinnern, aber ich weiß, ich war’s. Und jetzt willst du, dass ich Liz sterben lasse? Ausgerechnet sie?
    Es wird dich frei machen.
    Frei?
    Danach sehnst du dich doch.
    Nach Freiheit? Du sehnst dich nach Freiheit. Ich sehne mich nach … Ich weiß nicht … Erlösung.
    Erlösung! Mein Gott, was für eine pathetische Scheiße! Erlösung gibt’s nicht. Erlösung ist ein Sprung vom Hochhaus. Das Einzige, was es gibt, ist Freiheit.
    Vielleicht bin ich wirklich ohne dich besser dran.
    Du solltest schlafen.
    Ich kann nicht schlafen, verdammt! Geht das endlich in deinen Schädel?
    Unser Schädel, Luke. Unser Schädel! Du hast übrigens die Elektroden vergessen, Luke. Die Lichtschranke …
    Gabriel öffnet die Augen.
    Die Elektroden, verflucht.
    Mit zitternden Fingern tastet er den Fußboden neben dem Bett ab. Der Staub wirbelt durch einen Lichtstrahl, der sich zwischen den geschlossenen Vorhängen des Caesars hindurch an sein Bett gestohlen hat und ein Schlaglicht auf die Ansammlung loser Blätter aus seiner Krankenakte wirft. Irgendwo zwischen den Blättern bekommt er die dünnen Kabel zu fassen, setzt die Elektroden auf seinen Unterarm und schließt wieder die Augen. Hinter den Lidern schimmert es rot – wie im Innern eines Bauches. Plötzlich ist er wieder im Keller der Conradshöhe, sitzt wie paralysiert vor seiner eigenen Akte.
    Irgendwann hatte er dort unten im Keller für eine Weile das Bewusstsein verloren. Als er wieder zu sich kam, war es bereits später Mittag. Der Hundebiss in seinem Arm brannte, und er fühlte sich fiebrig.
    Normalerweise hätte er bis zum Anbruch der Nacht gewartet, um das Gelände der Psychiatrie im Schutz der Dunkelheit zu verlassen. Aber es gab keine Normalität mehr. Das Normale war aufgebraucht, endgültig.
    Er stahl sich aus dem Archivraum, hatte Glück und fand in einem angrenzenden Keller einen alten grauen Kittel, den er sich überwarf. Dann verließ er den Keller auf dieselbe Weise, wie er ihn betreten hatte: durch den Lieferanteneingang.
    Eine knappe Stunde später saß er im Wartezimmer eines Hausarztes. Der Arm war mittlerweile stark geschwollen, vermutlich eine Infektion durch den Biss. Der Arzt wollte ihm eine Spritze gegen Tollwut verpassen, doch Gabriel weigerte sich, verlangte stattdessen ein Antibiotikum, ließ die Wunde reinigen, sauber verbinden und lehnte es kategorisch ab, sich ins Krankenhaus überweisen zu lassen.
    Als er aus der Praxis wankte, überfuhr ihn die Erschöpfung wie ein Güterzug. Er bekam Schüttelfrost. Zähneklappernd hielt er ein Taxi an, ließ sich in die Nähe des Caesars fahren, bloß nicht bis vor die Haustür, und schleppte sich den Rest des Weges zu Fuß durch die Straßen.
    In seinem Zimmer ließ er einfach alles neben dem Bett fallen, schälte sich aus der zerfetzten Jacke, stopfte das Handy in seine Hosentasche – nur für den Fall, dass Val anrufen würde – und warf sich auf die Matratze, mit dem Gefühl, seit seiner Kindheit einen bösartigen Tumor in sich zu tragen, der jetzt Metastasen warf und ihm seine hässlichste, wahrste Gestalt offenbarte.
    Obwohl er sicher gewesen war, nicht schlafen zu können, driftete er weg. Erinnerungen standen herum, dünn und breit wie Leinwände, und er jagte wirr dazwischen umher, als sei er eine Silberkugel in einem Flipper.
    Das Blut. David, klein wie eine Puppe, aber schwer wie ein Panzer, den er wegzerren musste, weg vom Feuer, weg von den toten Augen, die Gabriel durchbohrten.
    Der Keller, das Labor. Eine offene Tür. Sein Vater brüllte ihn an, nicht hineinzugehen. Aber er konnte nicht anders. Zwischen seinen Zehen fühlte es sich klebrig an, es roch nach Chemikalien. Er ging durch einen Wald von Fotos. Filmstreifen hingen von der Decke, züngelten nach ihm wie Schlangen. Eine von ihnen wickelte sich um seinen Hals und schnürte ihm die Luft ab, sein Unterarm brannte wie Feuer …
    Wie Strom …
    Er öffnet die Augen, und der Traum reißt.
    Die Elektroden auf seinem Arm melden sich. Die Infrarotschranke. Irgendjemand steht vor seiner Tür.
    Alarmiert springt Gabriel

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