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Schnitt: Psychothriller

Schnitt: Psychothriller

Titel: Schnitt: Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Raabe
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Mutter mit Kinderwagen steigt ein, die Kleine darin hat einen bonbonrosa Schnuller im Mund und riesige Augen. Unwillkürlich fragt sich Gabriel, wie alt sie wohl ist. Der Anblick schnürt ihm die Kehle zu. Im wievielten Monat ist Liz jetzt? Er ballt die Fäuste in den Taschen. Komm schon, denk nach! Was ist dein nächster Schritt?
    Ins Caesars kann er nicht zurück, so viel steht fest. Sein Versteck ist aufgeflogen, und das nächste Mal wird Yuri Männer schicken, die sich nicht so leicht aufs Kreuz legen lassen. Das Problem ist nur, bis auf das Handy ist alles, was er hat, im Caesars geblieben, auch das Geld.
    Gabriel stöhnt. Er braucht neue Kleidung, die Sachen, die er auf dem Leib trägt, riechen nach Dreck und Blut, aber ohne Geld ist er nicht einmal in der Lage, einen Unterschlupf zu finden, geschweige denn für Essen oder neue Kleidung zu sorgen. Er schließt die Augen. Das Rumpeln der S-Bahn-Waggons dringt in seine Ohren und beruhigt das Chaos in seinem Kopf.
    David, denkt er. Ich muss zu David.
    Du bist unverbesserlich, Luke!
    Ich brauche nur etwas Geld.
    Er hat dir noch nie geholfen. Warum sollte er dir jetzt helfen?
    Er ist mein Bruder.
    Familie! , höhnt die Stimme. Du meinst, Blut ist dicker als Wasser und so?
    Gabriel antwortet nicht.
    Gilt das denn auch, wenn du’s vergossen hast, dieses Blut?
    Ich will, dass du verschwindest!
    Gabriel öffnet die Augen und starrt auf den flammend roten Horizont zwischen den Häusern. Es sieht aus, als habe jemand den Himmel angezündet.

Kapitel 41
    Andermatt, Schweiz – 25. September, 19:12 Uhr
    Liz sitzt auf der Holzbank im Revier der Kantonspolizei wie eine ausgeleierte Gliederpuppe. Sie hat sich in eine kratzige Schweizer Armeedecke eingewickelt und will nichts als ein warmes Bad und die Augen schließen, im Wissen, dass ihr nichts mehr geschehen kann. Aber je länger sie den stark gedämpften Stimmen hinter der Glasscheibe zuhört, desto mehr wächst ihre Verzweiflung. Auch wenn die beiden Kantonspolizisten hinter der Scheibe denken, dass sie nichts hört – sie versteht jedes Wort. Jetzt lachen beide, sie reden über Autos, der eine, der Kleinere, dreht seinen BMW -Schlüssel zwanghaft zwischen den Fingern.
    Sie weiß nicht, wohin mit ihrem Blick, und starrt hinaus. Die Sonne ist wie ein Stein hinter die Berge gefallen, und Andermatt versinkt in der Dämmerung. Ihre Füße fühlen sich taub an, und jeder einzelne Muskel in ihrem Körper ist übersäuert.
    Eine ganze halbe Stunde hatte sie es geschafft, sich zwischen den Bäumen durchzukämpfen. Der Hang wurde zunehmend steiler, und die scharfkantigen Steine und Äste malträtierten ihre nackten Füße, so dass ihr die Tränen kamen. Also verließ sie die Deckung der Bäume, schlug sich bis zur Straße durch und folgte den Serpentinen bergab. Auf dem glatten Asphalt kam sie weitaus schneller voran. Um sich zu beruhigen, begann sie, ihre Schritte zu zählen. Jedes Mal, wenn ein Auto vorbeifuhr, stolperte sie in die Büsche, drückte sich auf den Boden und betete inständig, dass der Wagen weiterfuhr und nicht er am Steuer saß, einen Zipfel ihres irrwitzigen schwarzen Kleides in den Büschen erkannte, anhielt und sie zurück in ihr Gefängnis zerrte – oder noch Schlimmeres.
    Eine Ewigkeit später tauchte ein zwiebelförmiger weißer Kirchturm hinter einer Biegung auf. Bahngleise durchschnitten die Berglandschaft.
    Das Dorf hieß Wassen.
    Liz betrat es wie eine Gothic-Braut. Das voluminöse, schlecht sitzende schwarze Haute-Couture-Kleid hatte sie am Bauch mit einem scharfen Stein aufgeschlitzt, damit ihr von der Schwangerschaft angeschwollener Körper überhaupt hineinpasste. Die schwarze, an manchen Stellen durchscheinende Seide war schmutzig und zog Fäden, da, wo Äste oder Dornen sich im Stoff verhakt hatten. Ihre nackten Füße starrten vor Dreck, und ihre fettigen roten Haare ragten in alle Richtungen. Im Mittelalter hätte man sie als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Im 21. Jahrhundert wirkte sie wie eine Geistesgestörte, die aus der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Klinik entflohen war.
    Als sie die ersten Häuser des Dorfes passierte, sah sie aus den Augenwinkeln, dass sie durch Gardinen angestarrt wurde. Sie lief weiter, Schritt für Schritt, wie sie es in ihrer Zelle immer getan hatte. Das leise Tappen ihrer Füße auf dem Asphalt klang

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