Schnitt: Psychothriller
niemanden, den er in einer Notsituation anrufen konnte, keine Freunde, nur ein paar Kollegen. Kollegen, mit denen er inzwischen offenbar Schwierigkeiten hat.
Plötzlich fällt ihr Gabriels Bruder ein, David Naumann. Auch wenn Gabriel nie den Kontakt zu ihm gesucht hatte, vielleicht war die Situation nach ihrem Verschwinden eine andere.
Es ist nur eine winzige Chance, aber immerhin, es ist eine Chance. Nur hat sie David Naumanns Telefonnummer nicht.
Rasch wählt sie eine der wenigen Nummern, die sie auswendig kennt.
»Pierra Jacobi, Redaktion Jetset.«
Endlich eine vertraute Stimme. »Pierra, ich binâs, Liz!«
»Liz! Meine Güte, wo hast du gesteckt? Ich hab wochenlang nichts von dir gehört. Warum meldest du dich nicht?«
»Tut mir leid, ich war ⦠unterwegs. Pierra, bitte, kannst du mir einen Gefallen tun?«
»Jeden, Schätzchen.«
»Ich brauch die Telefonnummer von David Naumann.«
»Ups. Ist der noch up to date? Ich dachte, der ist auf dem absteigenden Ast.«
»Pierra, bitte!«
»Schon gut. Welche brauchst du? Mobil, Büro?«
»Vor allem Mobil, aber gib mir einfach alles, was du in deiner Spezialkartei hast.«
Pierra Jacobi rattert zwei Nummern herunter, die Liz mit einem Kugelschreiber in eines der welligen und feuchten Telefonbücher schreibt.
»Das war alles?«
»Nein, warte. Ich brauch noch eine, von Victor von Braunsfeld.«
Pierra pfeift leise durch die Zähne. »Schätzchen, was läuft da? Hast du irgendwas spitzgekriegt, was ich nicht wei�«
Liz rollt mit den Augen. Der Bahnhof scheint hinter den Bahnen aus Regentropfen Wellen zu schlagen. »Pierra! Bitte, gib mir einfach die Nummer.«
»Na bravo. Bin ich die Auskunft?« Im Hintergrund hört Liz, wie Pierra etwas auf ihrer Computertastatur tippt. »Okay. Ich hab die Nummer von seinem Sekretariat â¦Â«
»Eine andere hast du nicht?«
»So dringend?«
»Ziemlich«, murmelt Liz. »Ich muss ihn halt sehen, und im Sekretariat erreiche ich jetzt mit Sicherheit niemanden. Bist du sicher, dass du keine andere Nummer hast?«
»Na, du bist lustig ⦠Der Kerl ist schlieÃlich nicht Pizza-Boy. Also willst du die Nummer jetzt oder nicht?«
»Okay«, seufzt Liz und notiert rasch die Ziffernfolge neben den beiden Nummern von David Naumann. »Du bist weltklasse. Danke dir.«
»Liz?«
»Hm.«
»Hör mal, wenn da irgendeine Story läuft, versprichst du mir, dass du an mich und mein Trötenmagazin denkst?«
Liz lächelt, obwohl ihr nicht danach zumute ist. »Versprochen.«
Sie hängt ein und schlieÃt für einen Moment die Augen. Es fühlt sich gut an, in Berlin zu sein. Es ist beinah so, als wäre der Keller in der Schweiz eine andere Welt, ein anderes Universum, weit weg wie ein Traum, und jetzt ist sie wieder hier, in ihrem alten Leben, in dem sie die harte Journalistin ist, die alles im Griff hat.
Sie weiÃ, dass sie nicht zur Polizei gehen kann, noch nicht jedenfalls. Erst braucht sie Beweise für ihre These, und die will sie finden, bevor Val Wind davon bekommt, dass sie ahnt, wer er ist.
Ihre Hand mit dem Kugelschreiber liegt auf dem vollgekritzelten Telefonbuch. Sie wirft ein paar Münzen nach und wählt die Nummer von Davids Büro. Nach dem ersten Freizeichen knackt es leise, und der Anruf wird weitergeleitet. Drei weitere Freizeichen, und die Mobilbox springt an.
Mist.
Liz knallt den Hörer auf die Gabel und beschlieÃt, es später noch einmal zu probieren. Ein Windstoà reiÃt an den Seiten des Telefonbuchs, Regentropfen sprenkeln das oberste Blatt, und die gekritzelten Ziffern der dritten Telefonnummer flattern.
In von Braunsfelds Sekretariat anzurufen wäre idiotisch. Die einzige Chance, den alten Mann zu sehen, ist, ihn zu Hause zu überrumpeln, wenn der Letzte vom Personal die Villa verlassen hat, und das ist, sofern sie sich richtig erinnert, gegen 23:00 Uhr. Victor hatte schon immer darauf bestanden, die Villa in der Nacht für sich zu haben, und da er, wie viele alte Leute, nur noch wenig schläft, hat sie eine echte Chance, ihn zwischen zwölf und ein Uhr anzutreffen. Der einzige Haken ist, dass von Braunsfeld ab 22:00 Uhr die Klingel abzustellen pflegt.
Mit einem Ruck reiÃt Liz die Seite mit den Nummern aus dem Telefonbuch und steckt sie in ihre Hosentasche. Der Muskelkater in ihren Beinen bringt sie um, als sie
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