Schnitt: Psychothriller
versucht, möglichst schnell durch den Regen zum Taxistand zu gehen.
Kaum sitzt sie im Taxi, hört es auf zu regnen. Die Fahrt durch die Berliner Innenstadt ist kurz, und obwohl sie bereits während der Zugfahrt von Andermatt nach Berlin geschlafen hat, nickt sie auch jetzt wieder ein.
Im Traum rast sie einen steilen schneebedeckten Berghang talwärts â nur dass das Ziel nie zu sehen ist â, immer hinter Gabriel her, und ihr dicht auf den Fersen ist Val. Seine Skier pflügen knirschend durch den harschen Schnee.
»So. KaDeWe, da wären wir«, sagt der Taxifahrer laut.
Liz schreckt hoch. Die illuminierte Fassade des Kaufhauses des Westens strahlt sie durch die Seitenscheibe an wie eine alte Bekannte. Liz bezahlt den Fahrer und öffnet die Tür des Taxis. Der Rinnstein ist randvoll mit Schmutz und Wasser, in dem sich die Lichter der TauentzienstraÃe spiegeln.
Als sie das Kaufhaus betritt, hat sie plötzlich das Gefühl, sich umsehen zu müssen. Ihr Herzschlag beschleunigt sich bei dem Gedanken an Val. Ihr Blick streift die Kameras unter der Decke, als könnte er sie durch sie beobachten und bis in ihre letzte Hirnwindung hineinsehen. Insgeheim wünscht sie sich, es wäre dunkel. Stockdunkel. Aber die Kaufhausbeleuchtung brennt hell und erbarmungslos.
Etwa 45 Minuten später verlässt Liz das KaDeWe wieder, bekleidet mit einer trockenen schwarzen Jeans, Schnürstiefeln mit Gummisohle, einem Rollkragenpullover und der dunklen Jacke aus der Boutique in Wassen. In der rechten Hand trägt sie eine Sporttasche, in der ihre alte Kleidung steckt, in der linken Hand eine Reisetasche aus stabilem Leder, mit einem mit Hartplastik verstärkten Boden, in der sich Kauknochen für Hunde befinden und ein Paar gummierte Handschuhe. Zu guter Letzt besorgt sie noch sechs Schraubzwingen aus einem kleinen Eisenwarenladen. Das Geldbündel in ihrer Hosentasche ist merklich dünner geworden.
Sie wirft einen Blick auf ihre neue Armbanduhr, eine preiswerte schwarze Seiko mit Weckfunktion. Es ist sieben Minuten vor acht. Noch gute drei Stunden.
Sie wagt es nicht, in die CotheniusstraÃe zu fahren. Sowohl Val als auch die Schweizer Kantonspolizei weià nur zu gut, wo sie wohnt; und abgesehen davon hat sie noch nicht einmal mehr einen Wohnungsschlüssel â der Schlüsselbund ist in ihrem grauen Sommermantel, und den hat jetzt Val.
Sie steigt im Quartier Friedolin ab, einer kleinen staubigen Pension mit schmuddeligen Betten und blassgetretenen Teppichböden, stellt die Weckfunktion ihrer neuen Armbanduhr auf viertel nach elf und schläft angezogen auf dem Bett ein.
Als das Alarmsignal der Uhr sie aus dem Schlaf reiÃt, schafft sie es kaum aufzustehen. Der Muskelkater ist schlimmer als zuvor, und ihr Körper schreit nach Kaffee. Sie packt die lederne Reisetasche und taumelt aus dem Quartier Friedolin über die Bayreuther StraÃe. Am U-Bahnhof Wittenbergplatz kauft sie zwei extrastarke Kaffee im Pappbecher, setzt sich auf eine Bank und trinkt, dann steigt sie, immer noch müde, ins erstbeste Taxi. Die Stadt jagt in einem endlosen Muster aus hellen und dunklen Streifen vorbei. Streifen wie lose Fäden.
Der Wannseebadweg liegt mattschwarz glänzend unter den tiefen Wolken. Liz starrt auf die vereinzelten Regentropfen, die durch das Scheinwerferlicht treiben. Unzählige Male ist sie hier entlanggefahren, um Schwimmen zu gehen. Vor ihr biegt sich die StraÃe in einer sanften Linkskurve, dahinter liegt der einzige Zugang zur Insel Schwanenwerder, eine kleine unscheinbare Brücke.
»Danke. Hier können Sie mich rauslassen«, sagt Liz.
Die Taxifahrerin steuert den Wagen an den StraÃenrand und hält.
»Dit macht siebenundzwanzig fuffzich.«
Liz drückt ihr drei Zehner in die Hand und steigt aus. Ein kalter Luftstoà weht ihr über das Dach des Taxis ins Gesicht und fährt durch die Maschen ihres schwarzen Rollkragenpullovers. Liz zieht den ReiÃverschluss ihrer Jacke bis unters Kinn und die dunkle Mütze bis zu den Augenbrauen hinab. Ihre Finger klammern sich entschlossen um den Griff der Reisetasche.
Das Taxi wendet, und seine Rücklichter verlieren sich hinter der Biegung. Es ist still, bis auf das Flüstern des dünnen Regens und das leise Knirschen von Lizâ Schritten.
Sie folgt den StraÃenlaternen aus den dreiÃiger Jahren, die sie wie eine Leuchtspur zur Brücke führen. Die Insel Schwanenwerder
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