Schnitt: Psychothriller
müssen Sie nur da vorne links rein und immer geradeaus.«
»Danke.«
Jetzt ist auch das Motorengeräusch weg, und eine Tür schlägt zu. In ihren vernebelten Gedanken sieht Liz schon jetzt, was gleich passieren wird, was millionenfach passiert, wenn Tragen von Rettungssanitätern aus den RTW s gehoben werden, wenn Gestelle mit Rollen ausgeklappt werden, die über die Schwellen der Notaufnahmen rütteln und klappern. Sie wartet auf das unvermeidliche Rütteln und Klappern. Aber seltsamerweise kommt es nicht. Nichts kommt.
AuÃer Stille.
Wieder ist da dieses diffuse Gefühl von Unbehagen, das sich in ihre Gleichgültigkeit mischt wie ein Spritzer Blut in einen Eimer weiÃer Farbe. Und plötzlich kommt ihr Gabriel in den Sinn. Sie erinnert sich, sie hat ihn angerufen, sie weià noch, wie sie dagelegen hat. Sie hat sogar noch seine Stimme im Ohr: »Liz, ich hole Hilfe, versprochen.« Wenn Gabriel Hilfe holt, wird alles gut, hatte sie gedacht. Aber wieso fühlt es sich nicht so an, als ob alles gut sei?
Einen Moment lang schweben ihre Gedanken in der Leere. Ihr Unbehagen wird immer stärker. Es ist dasselbe Unbehagen wie damals, vor wenigen Monaten.
Ssssinnng. Sie ist verblüfft, wie ihre Erinnerung gerade funktioniert, wie ein Fahrstuhl, der aufwärts und abwärts mit ihr fährt.
Vor wenigen Monaten. Da hatte sie gerade erfahren, dass sie schwanger ist. Bis dahin hatte sie sich verkniffen, in Gabriels Leben herumzuwühlen. Frag nicht, hatte sie gedacht. Wenn erâs dir nicht selbst erzählt, dann lass ihn. Und sie hatte es geschafft. Hatte trotz ihrer angeborenen Neugier und Recherchewut die eigenen Fragen ignoriert, weil sie instinktiv wusste, was sie alles damit zerstören konnte. Und dann war sie schwanger geworden und hatte es mit einem Mal nicht mehr geschafft, ihre Fragen zu ignorieren. Mit einem Mal war da das Unbehagen gewesen. Das Unbehagen, mit einem Mann ein Kind zu bekommen, der keine Eltern hatte, keinen Kontakt zu seinem Bruder, keine Freunde und einen Job, an dem er klebte und den er gleichermaÃen hasste.
Seitdem schleppt sie dieses Gefühl mit sich herum, wenn sie an Gabriel denkt. Dieses Gefühl, dass Gabriel wie ein einziger groÃer schwarzer Fleck ist, ein Fleck, den sie liebt, von dem sie ein Kind bekommt, den sie aber nicht kennt. Und das macht ihr plötzlich Angst.
Ssssinnng. Wieder der Fahrstuhl. Sind da Schritte? Sie blinzelt und schafft es, zu ihrem eigenen Erstaunen, die Augen zu öffnen. Um sie herum ist alles trüb und dunkel. Wenn sie die Augen bewegt, scheint alles zu schwimmen, sogar die Dunkelheit. Warum ist es dunkel in einem Krankenwagen? Und warum bringt mich niemand ins Krankenhaus?
Es klackt laut, und ein kühler frischer Luftzug weht in den Wagen. Endlich. Sie kneift die Augen zusammen, in der Erwartung, dass gleich das Licht angeht. Dann kracht die Tür wieder zu, und eine Gestalt beugt sich über sie. Eine Taschenlampe flammt auf, und das Licht brennt in ihren Augen wie Feuer. Sie will fragen, was mit ihrer Wirbelsäule ist, bringt aber kein Wort heraus. Jäh erinnert sich ihr Körper an all die Verletzungen und straft sie mit Schmerzen. Könnte sie riechen, würde sie einen strengen Geruch wahrnehmen, aber ihre geschwollene Nase macht das unmöglich. Das Einzige, was sie noch wahrnimmt, ist ein feuchtes Tuch auf ihrem Gesicht.
Ihre Sinne schwinden. Gleichgültigkeit lullt von jetzt auf gleich ihre Gefühle wieder ein. Vielleicht, denkt sie noch, war das Krankenhaus ja voll.
Dass der Motor wieder startet, hört sie nicht mehr. Aber hätte sie es gehört, hätte sie wohl gedacht: Jetzt fahren wir also zum nächsten Krankenhaus. Bitte lass dort ein Bett frei sein.
Kapitel 10
Berlin â 2. September, 00:41 Uhr
Gabriel kniet immer noch neben der Leiche, als ihn von links und rechts Arme packen und auf die Beine ziehen. Seine rechte Schulter protestiert mit glühenden Schmerzen, und er verzieht das Gesicht.
»Herrgott noch mal«, fährt ihn jemand an. »Was soll das? Was haben Sie hier zu suchen?«
Gabriel ist schwindelig, Ãbelkeit wallt in ihm auf.
»He, Sie! Ich rede mit Ihnen.«
»Wo ⦠wo ist sie?«, fragt Gabriel.
»Wo ist wer?« Der Polizist zu Gabriels Rechten sieht ihn misstrauisch an. Er ist Mitte dreiÃig, hat einen Kinnbart und riesige Hände.
Gabriel erwidert den Blick. Was tiefsitzendes Misstrauen angeht,
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