Schnitt: Psychothriller
die Vorstellung, was er anstellen würde, wenn er drauÃen ist â¦Â« David seufzt. Sein Blick ist leer, auf einen Punkt in seinem Inneren gerichtet. »An der ersten Sicherheitsschleuse habe ich mich losgerissen und um Hilfe geschrien; er hat nicht damit gerechnet. Fünf Männer waren nötig, um ihn in eine Zwangsjacke zu stecken. Er hat keinen Laut von sich gegeben, sich nur verbissen gewehrt ⦠Wenn er wenigstens gebrüllt hätte. Als sie ihn endlich in das Ding gezwängt hatten, haben sie ihm eine Spritze verpasst â¦Â«
»O Gott«, murmelt Shona.
David fährt mit dem Finger über eine der Kerben im Tablett und schweigt. Gabriels Blick hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt. Blaue Augen, wie die seines Vaters. Ein See ohne Grund und Boden, von dem man nie wusste, was sich in der Tiefe verbarg. Jedenfalls lag kein Vorwurf darin, keine Wut, noch nicht einmal Traurigkeit. Nur Abschied. Die Spritze wirkte innerhalb von Sekunden, und der See war plötzlich voller Algen, stumpf und flach.
»Ganz schön durchgeknallt, dein Bruder«, murmelt Shona.
David nickt, verzieht den Mund und versucht zu lächeln. »Er hat sich immer für Luke gehalten.«
»Für wen ?«
»Luke. Luke Skywalker.«
»Aus Star Wars ?«
David nickt. »Wir haben die Filme geliebt, besonders den ersten. Unser Zimmer war tapeziert mit Postern.«
»Ist er schizophren? War er deshalb in Behandlung?«
»Der Psychiater der Klinik Conradshöhe sprach von mehr oder weniger starken schizoiden Phasen und Verfolgungswahn. Wenn er wieder einen Schub hatte, haben sie ihn mit Haldol behandelt, ein starkes Neuroleptikum. Er wirkte dann immer wie ein Roboter. Danach war für eine Zeitlang Ruhe.« Er zuckt mit den Schultern. »Manchmal hatte ich aber auch den Eindruck, dass er sich verstellt hat, damit sie ihn in Ruhe lassen.«
Shonas braune Augen fangen Davids traurigen Blick ein. »Na ja. Immerhin ist dein Bruder in guter Gesellschaft. Millionen von Kindern wollten Luke sein.«
»Das Problem dabei ist«, sagt David leise, »dass er sich eher verhält wie Anakin Skywalker.«
Shona spürt, wie eine Gänsehaut ihren Körper überzieht. Sie schüttelt sich und senkt den Blick. »Und heute? Hat er immer noch solche Schübe?«
David atmet geräuschvoll ein. »Wenn du mich fragst â ich hab den Eindruck, dass er aktuell wieder einen besonders heftigen Schub hat.« Er starrt auf die Tischplatte. Irgendwo in der Nähe ertönt das gedämpfte Klingeln eines Mobiltelefons.
»Ist das deins?«, fragt er und sieht Shona an.
Sie schüttelt den Kopf. Ihre Augen wandern über den Tisch. »Ich glaube«, sagt sie leise, »das kommt aus dem Umschlag.«
Verblüfft starrt David auf das braune Kuvert mit der krakeligen roten Handschrift, das im Takt des Klingelns zittert.
Kapitel 19
Nirgendwo â 2. September
Zuerst hört Liz das Geräusch, wie aus weiter Ferne, als würde jemand am anderen Ende des Wattehimmels einen Schlüssel in einem Türschloss umdrehen. Plötzlich ist es, als ob die Wände, die sie nicht sehen kann, von allen Seiten näher rücken und das Geräusch einfangen, in ihrem kleinen Zimmer, ihrem Krankenzimmer. Ich träume, denkt sie, niemand schlieÃt ein Krankenzimmer ab. Es knirscht, dann kommt jemand herein. Sie will die Augen öffnen, aber es ist fast so schwierig wie beim letzten Mal. Einen Moment noch, denkt Liz. Nur einen Moment noch ausruhen.
Sie spürt, wie jemand an ihr Bett tritt. Lass es Gabriel sein, bitte! Die Bettdecke wird gehoben und beiseitegelegt. Kühle, feuchte Luft legt sich auf ihren Körper.
Der Arzt, denkt sie enttäuscht.
Sie hat keine Lust, die Augen zu öffnen. Dennoch weià sie, dass sie es tun muss. Nur wenn der Arzt sie bei Bewusstsein erlebt, wird sie den Tubus in ihrem Hals los. Nur wenn der Arzt den Eindruck hat, dass sie fit ist, wird sie entlassen. Und sie will so schnell wie möglich entlassen werden.
Sie öffnet die Augen. Wieder ist alles hell. Die Schwester ist an die Wand zurückgetreten. Sie sieht bedrückt aus. Rechts neben ihrem Bett steht eine hohe schlanke Gestalt in einem Arztkittel.
Liz sieht an ihm hoch, in sein Gesicht â und erschrickt bis ins Mark.
Für einen Moment glaubt sie, in einem Alptraum gelandet zu sein und dass ihre Sinne â oder irgendwelche Medikamente â ihr
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