Schnitt: Psychothriller
Jungs, die dich im Elisabethstift fertiggemacht haben? Willst du im Ernst behaupten, das hättest du alleine geschafft? Oder die Ordensschwester, die â«
»Oh, bitte!« David verdreht die Augen himmelwärts. »Was glaubst du, warum die so auf mir rumgehackt haben ⦠Da gingâs nicht um mich. Die waren nur zu feige, sich an dir zu vergreifen. Die meisten Scherereien hatte ich doch nur wegen dir  â¦Â«
Gabriel starrt ihn entgeistert an. Scherereien, wegen mir? Ihm fallen unzählige Gelegenheiten ein, bei denen er seinem kleinen Bruder die Haut gerettet hat, weil der sich nicht wehren wollte und â¦
Egal! Reià dich zusammen!
»Okay«, sagt Gabriel mühsam beherrscht. »Trotzdem. Glaub mir, David. Selbst wenn du mich gefragt hättest, nach der Nacht, meine ich â ich kann mich an nichts erinnern. Ich hätte dir nichts sagen können, nichts, verstehst du? Diese Nacht ⦠Da ist nichts, das ist wie ⦠ein blinder Fleck.«
David sieht ihn zweifelnd an. »Und in der Klinik? Du warst in der Psychiatrie. Da waren Profis, Ãrzte, Psychologen. Bei allem, was die mit dir angestellt haben, konntest du dich an nichts erinnern?«
»Die haben mich eingesperrt und mit Psychopharmaka vollgepumpt. Das ist so ziemlich das Einzige, woran ich mich erinnern kann.«
David sieht schweigend zu Boden. Seine Augen sind ins Leere gerichtet, auf einen Punkt jenseits des FuÃbodens. SchlieÃlich seufzt er. »Ich weià bis heute nicht, warum du mich im Kinderzimmer eingesperrt hast, in dieser Nacht. Weià der Teufel, was da alles passiert ist.«
»Was hast du gehört da oben?«
»Ich hab Lärm gehört, davon bin ich aufgewacht. Vater hat irgendetwas geschrien, dann hat es geknallt. Ich hab im ersten Moment gar nicht begriffen, dass es ein Schuss war. Ich hab mein Ohr an die Tür gelegt, dann aber fast nichts gehört.«
»Fast nichts?«
»Es hat einmal gepoltert, kurz nach dem Schuss. Dann war es einen Moment still, und dann hat es wieder geknallt. Dreimal. Da hab ich kapiert, dass es Schüsse sind. Ich hatte furchtbare Angst, bin unters Bett gekrochen. Nach einer Weile hat es nach Rauch gerochen. Da bin ich zur Tür und hab dagegengetrommelt und gerufen. Dann bist du gekommen und hast die Tür aufgemacht. Du hast ausgesehen, als wärst du dem Teufel persönlich begegnet. Ich hab dich angeschrien und wollte wissen, was passiert ist. Du hast kein Wort gesagt, hast mich einfach nur am Arm gepackt und die Treppe runtergezerrt. Und dann hab ich die beiden da liegen gesehen. Das war â¦Â«
»Beschreib mir, was du gesehen hast«, sagt Gabriel leise.
Davids Gesicht ist grau, die Falten um seinen Mund sind scharf gezeichnete Haken. »Vater lag auf dem Rücken, eine Kugel hatte ihn in den Bauch getroffen, seitlich. Ein weiterer Schuss hatte ihn in der Brust erwischt, vermutlich ins Herz. Ãberall um ihn herum war frisches Blut.« David räuspert sich, steht auf, dreht Gabriel den Rücken zu und geht zum Fenster, sieht hinaus, über die Dächer von Berlin. »Bei ⦠bei ihr, sie hatte einen Schuss abbekommen, direkt in ⦠in den Kopf, ins rechte Auge.«
»Kannst du dich sonst noch an irgendwas erinnern?«
David schüttelt den Kopf.
Gabriel hängt an Davids Lippen, saugt jedes Detail in sich auf und wartet darauf, dass ein Funke überspringt, der sein Gedächtnis entzündet. Doch es geschieht nichts. »Wie lange haben wir da gestanden?«
»Gar nicht. Du hast mich sofort weitergezogen. Ich hab die beiden vielleicht zwei oder drei Sekunden gesehen«, sagt David mit brüchiger Stimme. »Seltsam. Immer wenn ich daran denke, dann sehe ich alles vor mir, wie ein Foto, auf dem ich mir jedes Detail ansehen kann, sogar die Zeitung auf dem Couchtisch. Ich weià nur nicht mehr, was draufstand. Ich konnte noch nicht so gut lesen, vielleicht deswegen, denke ich.«
»Und wann hat es angefangen zu brennen?«
»Es brannte schon die ganze Zeit. Wie gesagt, ich hab oben in unserem Zimmer ja schon den Rauch gerochen. Unten war es noch schlimmer. Aus dem Keller kamen dicke Schwaden. Ich hab gehustet wie verrückt. Ich glaube, ohne dich wäre ich einfach dageblieben und erstickt. Ich war so ⦠ich konnte nicht weg von ihnen. Ich war wie gelähmt. Es sah entsetzlich aus, wie ein Schlachtfeld, aber ich musste die ganze Zeit â«
In
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