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Schnitt: Psychothriller

Schnitt: Psychothriller

Titel: Schnitt: Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Raabe
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bestand aus nichts als Flammen, und direkt hinter der Schwelle war die erste Stufe der Kellertreppe. Er stieg mitten in das Meer aus flirrender Hitze, die nackten Füße Stufe um Stufe abwärts in den Keller. Die Wände leckten mit roten Zungen nach ihm, und die Treppe nahm kein Ende, auch nach tausend Stufen nicht. Er sah sich um und erschrak, direkt hinter ihm befand sich immer noch die Haustür, und im Türrahmen stand ein Feuerwehrmann, oder war es ein Polizist?, der ihm die Hand reichte. Er kannte das Gesicht des Polizisten, das wusste er, aber er wollte die Hand nicht nehmen, schlug sogar nach ihr und rannte weiter, die nie endende Treppe hinab, und stürzte. Als er sich erhob, war er plötzlich im Labor und bekam Panik. Niemand durfte von Vaters Labor wissen. Auch nicht der Polizist!
    Dann riss der Traum wie ein zu straff gespannter Faden. Schweißgebadet richtete sich Gabriel auf.
    Es war 14:27 Uhr, er hatte fast 16 Stunden geschlafen. Seine Beine waren wie Gummi, aber sie trugen ihn. Im Spiegel starrte er den fremden Mann an und gab sich redlich Mühe, ihn mit kaltem Wasser zu vertreiben.
    Was hatte Val zuletzt gesagt? Carpe Noctem? Das ergab nicht den geringsten Sinn.
    Langsam versuchte er, das Chaos in seinem Kopf zu sortieren. Dass Val den Skywalker-Schlafanzug erwähnt hatte, war furchtbar für ihn gewesen. Die Schlafanzüge waren das Einzige, was David und er aus ihrem früheren Leben hatten retten können. Der Blutfleck am Saum ist der Stempel, den der Horror dieser Nacht in den Stoff gedrückt hatte. Und auch wenn Gabriel über keinerlei Erinnerung mehr darüber verfügte, wann und wie der Abdruck auf den Saum geraten war, er wusste zumindest, dass der Abdruck vorher nicht auf dem Schlafanzug gewesen war.
    Vals Stimme hing wie ein Echo in seinen Gedanken. Am Saum des Schlafanzugs, da hattest du einen blutigen Abdruck. Du hast dich mit deiner Hand daran festgehalten, als du in den Keller gegangen bist.
    Der Keller. Er hatte das also nicht nur geträumt, er war tatsächlich in jener Nacht in den Keller gegangen. Und das Labor? War er dort auch gewesen? Ging es etwa bei alledem um das Labor? Und was hatte dieser Val dort zu suchen gehabt? Wie war er überhaupt ins Haus gekommen? Und warum hatte er – Gabriel – Blut an der Hand gehabt? Oder war es gar nicht sein Blut gewesen, das auf dem Schlafanzugsaum klebte?
    Im Heim hatte es etliche Waschgänge gebraucht, um den blutigen Handabdruck aus dem Schlafanzug herauszuwaschen, und mit dem Blut verblich auch das Bild von Luke. Doch trotz der verblassten Farben und den mit ihm zusammenhängenden schrecklichen Erlebnissen, der Skywalker-Schlafanzug war die einzige Erinnerung an sein früheres Leben, und deshalb hielt er an ihm fest wie an einem Schatz. Und David, der den gleichen Anzug gehabt hatte, tat es ebenso.
    Ob David seinen Schlafanzug wohl behalten hatte?
    Der Gedanke an seinen Bruder versetzte ihm einen Stich. Diese Nacht hätte sie zusammenschweißen müssen. Und doch hatte sie sie auseinandergerissen.
    Zum ersten Mal in seinem Leben wünschte er sich, er hätte David damals nicht im Zimmer eingeschlossen. Vielleicht könnte ihm sein Bruder dann erzählen, was in dieser Nacht passiert war. Bis heute, dachte er, weiß ich nicht, was er da oben mitbekommen hat und was nicht.
    Würde es sich lohnen, ihn danach zu fragen?
    Gabriel warf seine Kleidung über, eine schwarze Jeans, einen dunklen Pullover und eine schlichte schwarze Lederjacke, dazu eine Schirmmütze, die sein Gesicht verbarg.
    Er hatte nichts mehr zu verlieren, und David schien ihm seine letzte Hoffnung auf ein paar Informationen zu sein, die seiner Erinnerung auf die Sprünge helfen konnten.
    Also verließ er das Caesars und machte sich zu Fuß auf den Weg zu David. Den Chrysler hatte er kurz nach Jonas’ Tod in einer entlegenen Seitenstraße stehen lassen, nur für den Fall, dass sich der Kioskbesitzer an den Van erinnerte, in dem Gabriel vor seinen Augen mit Jonas davongefahren war.
    Jetzt, wo er vor Davids Tür steht, ist Gabriel nicht mehr sicher, ob es eine gute Idee ist, seinen Bruder zu fragen. Er sieht sich noch mal in alle Richtungen um, dann klingelt er. Diesmal ist der Knopf nicht kühl, sondern warm; die Nachmittagssonne scheint auf das Klingelfeld.
    Er wird nicht da sein, Luke. Er ist nie da, wenn man ihn braucht.
    Gabriel will widersprechen, aber in der Gegensprechanlage knackt es.

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