Schnittmuster
Lam dort anlässlich der International Gang Conference hielt.
Striker war gespannt darauf, sie kennen zu lernen. Sie galt als Guru auf dem Gebiet der Bandenkriminalität. Nach dem, was Striker von Meathead erfahren hatte, hatte sie ihre Karriere in Los Angeles begonnen, wo sie sich mit der Grape Street Watts Gang befasste und sogar ein Interview mit dem berüchtigten Monster Cody Scott bekam, was niemand sonst schaffte. Danach hatte sie Mentoren unter den renommiertesten Bandenforschern von Los Angeles und New York. Nach Abschluss ihres Studiums spezialisierte sie sich auf südasiatische Gangs. Das hatte sie hierher nach Vancouver verschlagen.
Was eine Menge über die Untergrundaktivitäten aussagte, die in Kanada existierten.
Nachdenklich trat Striker an einen Wasserspender, der zwischen einer Betonbank und einem japanischen Pflaumenbaum stand. Gegen Herbstende waren die Zweige zwar noch rot, verfärbten sich aber allmählich violett, gelb und braun.
Der Campus hatte etwas Erhabenes, fand Striker. Er wünschte, er hätte die Atmosphäre mehr genieÃen können. Hinter der Betonbank war ein Internetcafé. Der Gedanke an den Salpetersäureanschlag auf Patricia Kwan verfolgte ihn. Er betrat das Café, setzte sich an einen der Computer und startete Google. Er war beim sechsten Link, überflog den langen Artikel, als Felicia ihn aufspürte.
»Ich weià jetzt, wo das Audimax ist!«, rief sie. Sie blickte über seine Schulter auf den Bildschirm. »Salpetersäure â irgendwas Aufschlussreiches gefunden?«
Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück, ein ungemütliches Plastikteil, das ächzend unter seinem Gewicht nachgab, und deutete auf ein Foto von einer entstellten Frau. »Diese Säure ist ein einziger Albtraum«, erklärte er. »Sie ist tödlich. Verwandelt Fleisch in Gelee, führt zu lebensgefährlichen Verätzungen. Wenn die nicht direkt behandelt werden, bleiben sie dauerhaft.«
»Dann hattest du Glück.«
Er konzentrierte sich auf einige Bilder, die auf dem Monitor eingeblendet wurden â Horrorbilder von Verätzungen und Verstümmelungen â, und las weiter: »Hier in Kanada wird Salpetersäure hauptsächlich zu industriellen Zwecken verwendet, in einigen Ländern wird das ScheiÃzeug allerdings als Waffe eingesetzt. Und um Angst zu erzeugen. Beispielsweise als Bestrafung bei Ehebruch ⦠die Liste der Opfer findet überhaupt kein Ende.«
»In welchen Ländern?«
»Hmmm. Vornehmlich in Asien. In Hongkong, auf den Philippinen. Aber auch im Nahen Osten.«
»Wie stehtâs mit Kambodscha?«
Striker zog die Schultern hoch und lieà sie wieder sinken. »Hast du Grace Lam gesehen?«
»Noch besser. Ich hab sogar mit ihr gesprochen.«
»Und?«
»Wir treffen uns in zwanzig Minuten mit ihr. Im Legal Grounds.«
Legal Grounds war eine kleine, angesagte Kaffeebar unterhalb des Campus, am Fuà des Barnaby Mountain. Beim Interieur war richtig geklotzt worden. Die Wände waren mit Eichenpaneelen verschalt, die Böden bedeckte helles Ahornparkett, die kleinen Sofas und Sessel waren mit burgunderfarbenem Leder bezogen.
Hinter dem Tresen stand eine junge Brünette, etwa um die zwanzig, im Edeloutfit â kurzes Frackjäckchen plus lange Kellnerschürze. An der Wand dahinter stand eine groÃe vergoldete Waage der Justitia. Striker starrte auf die Waage, während Felicia ihren heià geliebten Latte bestellte, der in diesem Spesentempel Charter hieÃ. Es war nichts anderes als ein teurer Vanilla Latte mit Schokoladenstreuseln obendrauf. Er bestellte sich einen Americano, schwarz. Sie nahmen ihre Getränke und setzten sich in eine kleine abgetrennte Nische im hinteren Teil des Cafés.
»Danke für den Latte«, sagte Felicia.
»Nichts zu danken. âtschuldige, dass es so lange dauerte, aber ich musste erst noch einen Kleinkredit aufnehmen, um die Rechnung bezahlen zu können.«
Sie lächelte und nippte an ihrem Kaffee. Striker zog seinen Mantel aus und hängte ihn über eine Stuhllehne, dann setzte er sich zu ihr. Während sie warteten, gingen sie den Fall noch einmal kurz durch. Striker fand die kurze Auszeit grandios. Es war seit Längerem ihre erste Pause, wenn auch rein dienstlich.
Nach zwanzig Minuten betrat Grace Lam die Lounge. Felicia stand auf und winkte sie in ihre Nische.
Striker hatte mit einer reiferen, eleganten
Weitere Kostenlose Bücher